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5 Minuten Lesezeit (975 Wörter)

Als ich eines Nachts am Rande des Wahnsinns wandelte

angst

Thomas Hrovat hat ein Buch über seine Angstzustände geschrieben. Man fragt sich, wie der Erstbegeher des Run-outs von "Insect Infect" und dieser Provokateur schlechthin überhaupt Angst haben kann. Oder noch schlimmer: Alexander Huber: Klettert 8b/b+ free solo und traut sich dann nicht aus dem Bett heraus. Horst J. hat mit seinem Blog "Angst" dieses Thema wieder aufgegriffen. Ich kann zu diesem Thema auch eine wahre Geschichte beitragen.

Der Mensch muss nicht nur klettern, er muss irgendwo auch schlafen. Früher war es einfach. In Nedes umgebauten Zweiergolf zum Beispiel. Wir bogen einfach in den nächsten Waldweg ein, kochten Menü 1 (Nudeln) oder Menü 2 (Kartoffelsuppe), rollten die Schlafsäcke aus und schliefen ein. Mit einer anspruchsvollen Dame im Gepäck, die Wert auf eine eigene Dusche und ein eigenes Klo legte und mit diesem "Spukerl" von Mietauto, mit dem wir gerade durch Katalonien gondelten, war das keine Option. Die Sonne ging schon unter, die Stimmung im Auto wurde etwas nervös und wir waren immer noch ohne Nachtquartier. Mit Schaudern dachte ich an eine Szene am Hauptplatz von Granada. Wir hatten bereits alle Hotels abgeklappert und nirgends ein freies Zimmer gefunden. Petra setzte sich an den Rand eines Brunnens, sagte noch, dass ihr die ganze Welt den Buckeln runter rutschen könne und sie einfach nur mehr hier sitzen bleibe, bis ein Hotel inklusive freiem Zimmer vorbei komme. Es war dann harte Arbeit, ihr diesen Lösungsansatz auszureden und sie zu den nächsten Hotels weiterzuschleppen.

In einem kleinen Nest namens Cirat sahen wir dann ein Hinweisschild über einer Fleischhauerei auf freie Zimmer, organisierten irgendwie die Vermieterin und waren über den günstigen Preis erstaunt: 23 € mit Frühstück. Der Abend schien gerettet und die Stimmung erreichte wieder Temperaturen über dem Gefrierpunkt. Wir gingen dann noch Essen, eher untere Mittelklasse, wenn ich mich recht erinnere, und legten uns dann nach der Abendtoilette ins Bett. Petra fiel gleich in einen unruhigen Schlaf, während mir bald klar wurde, dass die Nacht schlaflos verlaufen würde. Das ist für mich generell kein Problem, zumal ich mit umfangreicher Lektüre ausgestattet war. Ich setzte mich also ins Bett und las "Fegefeuer der Eitelkeiten" von Tom Wolfe. Ich las und las und las immer unaufmerksamer. Die Geräusche waren verdächtig. Es knarrte, und ich war mir sicher, dass jemand die Treppe hoch kam. Ich wartete noch ein wenig, dann schlich ich mich zur Tür. Nichts. Dann ein Geräusch am Ende des Ganges. Jetzt kommt bestimmt jemand. Wieder ging ich zur Tür. Wieder nichts. Da ich schon am Gang und es erst halb eins in der Früh war, also später Abend nach spanischen Begriffen, beschloss ich, mich auf die Suche nach einem neuen Quartier zu machen. Ich ging zum Auto, schaltete den Radio ein, herrlich, diese Dudelmusik, und fuhr los, um freie Zimmer zu suchen. Nach einem knappen Kilometer traf ich mich der Schlag. Unvorstellbar!!! Unmöglich!!! Ich kann doch Petra auf gar keinen Fall alleine im Zimmer lassen. Noch dazu wo sie schläft! Also: bei der nächsten Kreuzung umgedreht und mit Vollgas zurück nach Cirat. Schnell rauf in das Zimmer und – Gott sei Dank- Petra atmet noch regelmäßig in einem für sie sehr unruhigen Schlaf. Quartiersuche war keine Option mehr, da man das Zimmer nicht unbewacht lassen konnte. Damit blieb nur mehr als einzige Möglichkeit, seine Haut so teuer als möglich zu verkaufen, da jeden Moment sich die Türe öffnen und der Bösewicht ins Zimmer stürzen könnte. Ich zog die Bergschuhe an, um besser zu treten zu können, sobald sich die Türe öffnen sollte. Die Geräusche. Die Geräusche im Gang verrieten mir, dass sich schon wieder jemand näherte. Niemand am Gang. Ich legte mich im Bett auf die Lauer. Vollkommen angezogen natürlich und jederzeit bereit, aufzuspringen und gegen die sich öffnende Tür zu treten. Als Mantra sagte ich vor mich hin: aufspringen und treten, so fest es geht, aufspringen und treten... eh schon wissen was. An Lesen war natürlich nicht mehr zu denken. Ich musste unsere Burg verteidigen. Mit Leib und Leben.

Petra jammerte im Schlaf vor sich hin.

Irgendwann wurde es dann doch halb sechs in der Früh. Ich weckte Petra. Sie war sofort meiner Meinung. Wir mussten so schnell als möglich verschwinden. Wir packten die Koffer, knallten 23 Euro auf den Tisch, schrieben noch eine Nachricht in unserem Pidginspanisch an die Vermieterin und nix wie weg. Den nächsten Stopp legten wir erst nach eineinhalb Fahrstunden ein. Wir begutachteten dort halbherzig die Kletterfelsen, waren beide der Meinung, dass wir noch viel zu nah an Cirat und der Fleischhauerei wären und fuhren weiter bis nach Alicante, wo Massentourismus und der Ketchupsong auch die letzten bösen Geister vertrieben hatten. Wie herrlich.

DENN: Während ich mich im Zimmer in Cirat verbarrikadierte, um Petras und mein Leben zu verteidigen, träumte Petra -erraten- dass sich jemand in das Zimmer schlich und sie mit wuchtigen Messerstichen ermordete.

Und was ist die Moral von der Geschichte? Ganz einfach. Natürlich redete ich mir die ganze Zeit, dass mein Getue jetzt lächerlich ist, und dass es bestimmt niemand auf uns abgesehen hätte, und dass logisch betrachtet... Aber mit deiner Logik kannst du brausen gehen, wenn der Wahnsinn nach dir greift. Du bist einfach chancenlos.

Gegenüber den eingangs erwähnten Herren habe ich allerdings einen großen Vorteil: Mein Wahnsinn sitzt im ersten Stock einer kleinen Fleischhauerei in Cirat und solange ich mich ihm nicht auf hundert Kilometer nähere, kann nichts passieren. Wenn dafür das Klettergebiet Chulilla für mich immer unerreichbar bleibt, soll es mir auch recht sein.

*

Ich bin übrigens nicht der einzige Kletterer, der mit einer Gruselgeschichte aufwarten kann. Fragt einmal bei Ba und Gü nach. Deren Geschichte ist noch besser. Die beiden mieteten supergünstig ein Haus in Sizilien und hatten in der Nacht die gleichen furchtbaren Alpträume à la H.P. Lovecraft in voller Aktion. Am Morgen durchsuchten sie das Haus und fanden in einem Kasten dann Bilder, die ihren Alpträumen bis ins kleinste Detail glichen. Der Maler dieser Bilder, erfuhren sie später, hatte sich in diesem Haus umgebracht.


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Kommentare 2

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Horst Jobstraibitzer

am Freitag, 11. Mai 2018 21:46

Und wie bitte, nach dem Genuss dieser Zeilen, soll ich jetzt einschlafen können?

Packend geschrieben Bernhard!

  • 1
Und wie bitte, nach dem Genuss dieser Zeilen, soll ich jetzt einschlafen können? ;) Packend geschrieben Bernhard!

S. Braveheart

am Samstag, 12. Mai 2018 00:25

Na dann gute Nacht.
Und wo ist überhaupt Insect Infect?

  • 0
Na dann gute Nacht. Und wo ist überhaupt Insect Infect? ;)