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7 Minuten Lesezeit (1391 Wörter)

Arco ist Sch……pitze.

Promeghin, (C) Stefan Winter Kletterspot Promeghin, (C) Stefan Winter

 „Arco ist Scheiße geworden" sagte mein alter Freund Franz F. am Telefon. Und das aus dem Mund von einem, der zusammengerechnet mehrere Jahre seines Lebens dort verbracht hat! "Die Routen sind abgeschmiert wie die Hölle" fuhr er fort. "Und Menschenmassen gibt es ohne Ende. Also ich glaub nicht, dass ich nochmal dorthin fahren werde."

Franz klang deprimiert. Seit 1984 waren wir beide viele Male gemeinsam zum Nordende des Gardasees gefahren um an den gerade neu erschlossenen Massiven zu klettern. Massone , Nago , San Siro. Alle hatten wir sie ohne Speck kennengelernt, kaum ein Jahr alt und meist waren, ausser uns, nur einige wenige Kletterer an den Felsen anzutreffen. Wir konnten in aller Ruhe unsere Projekte ausbouldern und ließen oft ein paar Tage lang die Schlingen in den Routen hängen.

Dass sich die Zeiten geändert hatten, bekam ich schon bei einem meiner letzten Besuche vor elf Jahren ansatzweise mit. Auf der Heimfahrt von Ceüse machte ich mit meinen Freunden für zwei Tage in Arco Halt. Schon damals war es ein kleiner Kulturschock für mich, als ich sah, was sich alles innerhalb weniger Jahre getan hat. Nun soll es noch viel schlimmer geworden sein. Vielleicht hatte Franz wirklich Recht und man konnte sich die Reise dorthin ersparen.

Dass ich dennoch in der letzten Septemberwoche im vollgepackten Auto saß und mit meinem Kletterpartner Christian Richtung Italien aufbrach, hatte mehrere Gründe. Für Spanien war es noch zu heiß und auf Kalymnos waren wir erst vor drei Jahren. Ausserdem wollten wir nicht nur eine Woche lang klettern sondern auch Urlaub machen. Wir wollten gut essen und gut trinken. Wir wollten einkaufen und vielleicht Freunde treffen die wir schon lange nicht mehr gesehen haben. Um all das unter einen Hut zu bringen gab es nur eine sichere Adresse – Arco.

Es fühlte sich beinahe ein wenig wie Heimkommen an, als wir am späten Nachmittag in Nago um die Kurve bogen und der Colodri vor uns auftauchte. Der Wetterbericht sagte eine Woche wolkenlos voraus und wir wussten in dem Moment, dass wir uns richtig entschieden hatten. Kurz darauf schlenderten wir bereits durch die engen Gassen und waren richtiggehend erschlagen von der Vielzahl an Sportgeschäften. Mir kam es vor als wäre ich im Schlaraffenland gelandet. Gerade hatte der Ausverkauf mit oftmals minus 50% begonnen und dennoch waren kaum Leute in den Geschäften. Es war Samstagabend und Arco war wie ausgestorben.

Der nächste Morgen sah uns auf dem Weg in die judikarischen Täler. Vorbei am Monte Brento und an jeder Menge unerschlossener Wände die wohl noch für Generationen Felspotential bereithalten werden. „Wahrscheinlich" sinnierte Christian während er kopfschüttelnd aus dem Seitenfenster des Autos sah „ist hier bisher nur Schrott eingebohrt worden und die richtig guten Felsen werden erst entdeckt".

Franz F. hatte mir am Telefon das Val d`Agone empfohlen und so kurvten wir durch verträumte italienische Bergdörfchen bis wir letztlich nach rechts in einen steilen Graben abbogen und nach einigen Kilometern am Fels ankamen. Der befürchtete Massenansturm blieb aus. Gerade einmal zwei Autos waren am Parkplatz und im Laufe des Tages kamen nur noch zwei weitere hinzu. Es war Sonntag. Wolkenlos. Und die Temperatur im Schatten war perfekt zum Klettern. Übrigens war das der einzige Tag an dem wir den Fels nicht alleine für uns hatten. Die nächsten fünf Tage verbrachten wir immer ohne Gesellschaft.

Irgendein Witzbold hatte mit Chalk 5c unter eine 6b Route gemalt und wir Schlaumeier glaubten ihm das auch noch! In der, erwarteten, gemütlichen Aufwärmtour war somit gleich einmal herzhaftes Zupacken gefragt. Immerhin - zumindest von abgeschmiert war keine Spur! Die Kletterei war Klasse. Und so spulten wir Route um Route im sechsten Franzosengrad ab. Immer bedacht darauf, unser Pulver nicht schon am ersten Tag zu verschießen um auch den Rest der Woche noch einigermaßen fit zu sein. Zudem hatte sich für den nächsten Tag Stefan W. angekündigt. Der dritte im Bunde der Arco Boys. Wir mussten frisch sein um mit ihm mithalten zu können.

Noch am selben Abend hatten wir, während der Heimfahrt zu unserer gemütlichen Ferienwohnung am Ortsrand von Arco, unser nächstes Ziel besichtigt. Promeghin bei San Lorenzo in Banale. Drei Minuten Zustieg über einen zuerst ebenen und danach sogar abwärts führenden Weg sollten uns laut Kletterführer direkt unter das Konglomeratmassiv bringen. Sollte. Wenn wir nicht drauflosgestürmt wären ohne groß die Skizze zu beachten. Bei der Bergführeraufnahmsprüfung hätten wir mit dieser Performance im Punkt „alpine Wegfindung" gnadenlos versagt und wir wären mit Bomben und Granaten durchgeflogen. So dauerte es schließlich zwanzig Minuten bis wir endlich staunend unter der Wand standen. Keine Frage. Die Destination für den nächsten Klettertag war gesetzt.

Das schattige Massiv am Ortsrand von San Lorenzo bot am nächsten Tag Lochkletterei vom Feinsten und als Stefan seinen Seilsack unter der offensichtlichen Kingline am Pfeiler ganz rechts positionierte, war ich ziemlich beeindruckt von ihm. Der Junge legt ja ordentlich los! Kurz darauf war ich noch weit mehr beeindruckt. Stefan onsightete die überhängende 20m Kante kurzerhand und als er wieder ebenen Boden berührte, gratulierte ich ihm neidlos zu einer 7a+. Als aber auch Christian anschließend die Route flashte wurde es eng für mich. Verdammter Gruppenzwang. Meine Nervösität legte sich erst als mir der schwerste Zug in der Route richtig gut reinlief und ich den ersten Schüttelpunkt erreichte. Nun fehlten noch 12 Meter bis zur ersehnten Kette. Ruhig bleiben war ab nun die Devise. Mit der Routine von fast 40 Jahren klettern schob ich mich Zug um Zug nach oben. Die Umlenkung erreichte ich schließlich überraschend frisch.

San Antonio am Ufer des Molvenosees ist ein altes Klettergebiet. Old school. Die Routen sind technisch richtig anspruchsvoll und gnadenlos bewertet. Eigentlich wollten wir ja nach Cavedago aber das Gebiet war aufgrund von Bauarbeiten gesperrt. San Antonio war ein Ausweichziel. Hier war der Fels so wie man ihn in den Dolomiten vorfindet. Teilweise plattig mit rutschigen Reibungstritten und teilweise überhängend an hohl klingenden Schuppen. Oftmals ging es ganz schön luftig in Richtung Umlenkung. (die war allerdings auch gleich in eine dieser prekär aussehenden Schuppen gebohrt). Landschaftlich war es echt wunderschön am Fuße der Brentaberge gelegen aber wir waren am Nachhauseweg einhellig einer Meinung: Einmal dortgewesen zu sein reicht völlig. Für das Highlight des Tages sorgte allerdings ein italienischer Caddy der uns an der Kreuzung im Ortszentrum von San Lorenzo in Banale die Vorfahrt nahm. Nicht mit uns! Mit Stefans BMW nahmen wir die Verfolgung auf. Der Caddy bremste die Kurven im allerletzten Moment an und gab bei erstbester Gelegenheit wieder Gas. Ohne Zweifel kannte er die Strecke hinunter ins Sarcatal auswendig. Stefan, hinter ihm, schnitt die Kurven, hatte die bessere Straßenlage , die besseren Bremsen,dreimal soviel PS und alle Hände voll zu tun um den Italiener nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. Erst kurz vor Arco bog der Caddy ab. Er hatte die Führung während der ganzen Zeit nie abgegeben.

Als nächstes war ein Ruhetag eingeplant. Cappuccinotrinken, einkaufen, chillen. So unser Plan. Bis knapp nach Mittag hielten wir durch. Wir saßen im Gastgarten vom Cafe Trentino, aßen Toast und als Stefan im Kletterführer blätterte und lapidar bemerkte, dass La Panoramica eigentlich echt gut aussehen würde, war die Entscheidung gefallen. Bereits eine Stunde später zogen wir uns in der prallen Sonne an den Fixseilen den Vorbau nach oben. Am Wandfuss angelangt waren wir, wieder einmal, allein. Die Routen sahen klasse aus. Für uns wurde es aber dennoch sowas ähnliches wie ein Ruhetag. Nach drei herrlichen Routen bis 6b+ im linken Wandteil machten wir Schluss. Morgen ist auch noch ein Tag.

Auf der Suche nach, uns noch unbekannten, Klettergebieten wurden wir wieder einmal weit oben, in den judikarischen Tälern fündig. Comano sollte es diesmal sein. Am Topo sah es Klasse aus und eine Minute Zustieg klang auch nicht übel. Auch hier dasselbe Bild. Wir blieben den ganzen Tag allein und hatten einen Mordsspaß in den, technisch anspruchsvollen, Routen die uns zum Schluss hin auch noch ordentlich niederpumpten.

Was soll ich sagen. Arco erfüllte all unsere Wünsche mit links. Abends chillten wir zuerst in der Pizzeria Pace oder im California und genossen Pizza, Pasta und Fisch um den Tag letztlich traditionsgemäß im Sitzgarten des Cafes Trentino bei einem Humpen Wein zu beenden. Wir erzählten einander Geschichten von vergangenen Zeiten und blätterten in den Führern um das Ziel für den nächsten Tag festzulegen. Dazwischen frönten wir dem Shoppingwahn. Arco hatte sich verändert aber so wie wir es in diesen Tagen erleben durften war es einfach nur genial. Auf einen Nenner gebracht war es „Sch……pitze!

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Kommentare 1

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miguel zapato

am Donnerstag, 05. April 2018 13:20

sehr gut...ich bin mir nicht sicher, ob der andrang in einer anderen woche nicht ein bisschen höher gewesen wäre, aber egal, meckern kann man schließlich immer. das positive suchen und das negative nicht so ernst nehmen, sollte viel häufiger die devise sein...in arco kann man also immer noch spaß haben.

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sehr gut...ich bin mir nicht sicher, ob der andrang in einer anderen woche nicht ein bisschen höher gewesen wäre, aber egal, meckern kann man schließlich immer. das positive suchen und das negative nicht so ernst nehmen, sollte viel häufiger die devise sein...in arco kann man also immer noch spaß haben.