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7 Minuten Lesezeit (1383 Wörter)

Biss zum Plus.

(c) Klaus Strassegger

Die Griffe, im beinahe horizontalen Überhang, waren schlecht. Ich konnte mich gerade noch so irgendwie festhalten, aber an Seilhochziehen und zu klinken war nicht einmal ansatzweise zu denken. Deshalb änderte ich meine Taktik und ich kletterte kurzerhand, ohne das Seil einzuhängen, weiter. Bei der Besichtigung der Wettkampfroute, wenige Minuten zuvor, hatte ich einen fetten Henkel an der Dachkante ausgemacht und den steuerte ich nun, mit dem Ziel von dort aus das Seil in den Karabiner einzuhängen, an. Ich erreichte den Henkel genau in dem Augenblick, als es mir die Füße zog. Einarmig hängend schwang ich zur Kante hinaus. Die Schlinge, die einzuhängen gewesen wäre, hing nun für mich unerreichbar in der Mitte des Daches. Kurz bemühte ich mich unter den johlenden Anfeuerungsrufen des Publikums in das Dach zurückzuklettern, bevor ich mich abermals dazu entschied meine Taktik zu ändern. In der Vergangenheit hatte ich beim Felsklettern immer wieder Haken überklettert um Kraft zu sparen und so war die Situation, in Unkenntnis des Wettkampfreglements, nichts Neues für mich. Ich entschloss mich also ohne zu Klippen weiterzuklettern und war gerade dabei meinen Fuß auf einen Tritt an der Dachkante zu werfen, als das Seil plötzlich nicht mehr nachging. Ein kurzer Blick nach unten und ich wusste auch schon warum. Mein Sicherungsmann hatte Blickkontakt mit der Jury aufgenommen. Aus seiner Sicht war ich wohl eindeutig regelwidrig unterwegs und die Reaktion des Schiedsrichters ließ nicht lange auf sich warten. Ein kurzes Nicken des Unparteiischen, Daumen nach unten und mein Sicherungsmann zog Seil ein um mich nach unten zu befördern.

Nicht mit mir! Ich trat die Flucht nach oben an und zog durch um den nächsten Griff zu erreichen. Gerade als ich diesen berührte, kam der Ruck. Das gespannte Sicherungsseil riss mich von den Griffen und ich krachte, nach kurzer Luftfahrt, auf den Parkettboden der Halle. Zum Glück landete ich wie eine Katze auf meinen Füßen. In dem Bereich waren keine Matten mehr ausgelegt und meine Waden dankten diesem Umstand, indem sie bei der Landung augenblicklichst verkrampften und sich zu kindskopfgroßen Kugeln aufblähten. Das war das Ende meines allerersten Kletterwettkampfes und als ich zum Informationsstand humpelte, an dem bereits Anmeldungen für den nächsten Bewerb entgegengenommen wurden, hatte ich Blut geleckt für weitere Wettkämpfe. Der Blick abends auf die Ergebnisliste bestätigte mich. Gar nicht einmal so schlecht! Der Versuch von den miesen Griffen im Dach zu klinken wurde nämlich einigen Athleten zum Verhängnis. Andere schafften dies gerade irgendwie und tropften am Henkel dann völlig entkräftet ab. Ich hatte sie alle hinter mir gelassen und mein Verzweiflungsschnapper in Richtung nächsten Griff über der Dachkante brachte mir zudem noch ein Plus ein, was mich weitere zwei Ränge im Endklassement nach vorne rutschen ließ. In punkto Taktik konnte mir jedenfalls niemand was vorwerfen. Ich hatte gekämpft bis zum Plus und war erfolgreich damit.

Die Sache mit dem Plus kam mir erst Jahrzehnte später wieder in Erinnerung als ich bemerkte, dass es jede Menge Routen gab, die mir zu schwer waren. Aus Respekt vor dem ausgeworfenen Schwierigkeitsgrad versuchte ich sie erst gar nicht und so dümpelte ich in Routen herum ,die ich mit 99 prozentiger Sicherheit hochkam ohne runterzufliegen.

Dabei wollte ich doch viel lieber so richtig coole Routen klettern. Oder sie zumindest zu versuchen. Aber bereits der Blick auf das Topo ließ mein Selbstvertrauen in den Keller rasseln. Viel zu schwer.

Bis mir eben eines Tages das Plus wieder in den Sinn kam. Eigentlich, so überlegte ich, wäre es nun wirklich an der Zeit mich von Schwierigkeitsgraden zu lösen und einfach draufloszuklettern bis ich stürze. Entweder ich kann es nicht oder ich traue mich nicht. Eins von beiden. Oder ich komme tatsächlich oben an. Auf Toprope und das obligate „halt mich" bei jedem einzelnen Haken würde ich verzichten und ganz einfach im Vorstieg einsteigen um herauszufinden wo mein persönliches Plus in der Route zu finden sein würde.

Kürzlich wollte ich dann die Sache endgültig angehen. Schon die Tage zuvor war ich in seelischer Aufbruchstimmung. Es erinnerte mich an die Anfänge des Sportkletterns wo alles noch spannend war. Wo man nicht einschätzen konnte wohin die Reise gehen würde.

Die Route, die ich ins Auge gefasst hatte, war mir zu schwer. Ohne einen Blick in den Führer gemacht zu haben war mir sonnenklar, dass ich hier nichts verloren hatte. Dennoch, ich war fest entschlossen mich jetzt und hier im Vorstieg in die Route hineinzuwuchten und bis zum zum letzten Zacken zu klettern. Aufmerksam studierte ich den Routenverlauf und stellte mir drei Fragen, die ich mir bereits Zuhause zurechtgelegt hatte. Wenn ich die ersten beiden Fragen mit ja beantworten muss, hatte ich vor zu kapitulieren.

„Kannst du in der Route sterben?" Eindeutig nein.

„Kannst du dich schwer verletzen?" Ich musterte die Route. Ebenfalls ziemlich klares nein.

„Wirst du Angst haben?" Keine Frage! Ganz bestimmt!

Na dann. Auf geht's. Ein kurzer Partnercheck noch und ich machte mich auf in Richtung ersten Haken. Er steckte hoch oben. Noch vor kurzem wäre das ein Fall für Seil von oben gewesen oder zumindest für den Clipstick. Nun vertraute ich darauf, dass der Erschließer schon gewusst haben wird, was er tat und dass gute Griffe auftauchen würden, obwohl es vom Boden aus nicht so aussah. Es kamen keine guten Griffe. Fluchend stellte ich nach wenigen Kletterzügen fest, dass ich den Point of no return bereits überschritten hatte und mir nur mehr die Flucht nach oben blieb. Zum Glück war die Wand in dem Bereich bestenfalls senkrecht und ich erinnerte mich an meine Schleicherqualitäten aus vergangenen Alpinzeiten. Ich blies den Staub von den Mikrotritten und schob mich Stück für Stück nach oben. Geht doch. Als ich schließlich den Haken erreichte, fühlte ich mich wie ein Sieger. Mein Experiment war bereits jetzt gelungen. Während ich rastete und die Hände in den Magnesiumbeutel tauchte, sah ich aus dem Augenwinkel, dass sich erste Beobachter unter der Route einfanden. Anscheinend war es wohl nicht alltäglich, dass hier jemand einstieg. Wenn die wüssten! Ich grinste in mich hinein und begann weiterzuklettern. Ein paar leichtere Züge brachten mich zum nächsten Haken. Dann begann der Kampf. Die Route leitete an einer schmalen Sintersäule entlang durch die nun immer steiler werdende Wand und ich konnte die Zangengriffe nur mit allergrößter Mühe halten. Ein wenig Gewicht konnte ich mit Heelhooks wegnehmen, aber ich wusste, dass mir das nicht mehr lange weiterhelfen würde. Normalerweise hätte ich spätestens jetzt kapituliert , aber solange man „halt mich" zu seinem Sicherungspartner rufen konnte, war anscheinend immer noch ein wenig Energie vorhanden. Energie, die ich nun nutzen wollte um doch noch zu meinem Plus zu kommen. Irgendwo dort oben musste es sein und ich bewegte mich, wie ein Pokemonjäger auf seine virtuelle Beute, keuchend darauf zu. Obwohl ich mittlerweile am ganzen Körper zitterte, ging es erstaunlicherweise immer noch Zug um Zug nach oben. Der nächste Haken tauchte vor meiner Nase auf und obwohl der Griff zum Klinken richtig gut war, konnte ich das Seil nicht mehr hochziehen. Immer wieder gingen mir die Finger auf. Mein Atem ging stoßweise, rasselnd. Die Unterarme krampften. Ich war fertig und mir war klar, dass ich im nächsten Augenblick einen Riesensatz die Wand hinunter machen würde. Und das ohne Plus!

„Mach weiter" versuchte ich mich selbst anzutreiben.

„Ich kann nicht"

„Versuche es"

„Nein, es geht nicht mehr"

„Nur einmal noch! Hol dir das Plus. Geht schon!"

Ich befand mich immer noch in der unteren Hälfte der Route und kämpfte mit mir selbst, beinahe noch mehr als mit dem Fels.

Kurz schaute ich nach unten zu meinem Sicherungspartner. Alles gut. Ich hatte keine Kraft mehr ihm irgendetwas zuzurufen und machte weiter. Wie in Zeitlupe bewegte sich meine rechte Hand nach oben. Sie blieb an einem Käntchen hängen. Für einen kurzen Moment versuchte ich noch meine Finger aufzustellen. Dann zog es mir die Füße.

Als sich nach endlos scheinenden Sekundenbruchteilen mein Sicherungsseil dehnte, drückte es mir das bisschen Luft, das ich noch in meinen Lungen hatte, mit einem Urschrei heraus und als meine Füße wieder sicheren Boden berührten, wusste ich, dass ich alles gegeben hatte, was ich geben konnte. Ich hatte gefightet bis zum Plus und es wurde eines meiner intensivsten Erlebnisse, das ich je am Fels hatte.

Einer der Zuseher klopfte mir auf die Schulter. „Coole Vorstellung", sagte er anerkennend. Sein Blick wanderte hinauf zum letzten eingehängten Haken. „Crazy", meinte er kopfschüttelnd. „Du hast ja ordentlich gebissen".

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Kommentare 1

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gelöschter User

am Sonntag, 01. Januar 2017 11:33

"Der letzte Zug geht nach oben"
coole story horst!

  • 1
"Der letzte Zug geht nach oben" ;) coole story horst!