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4 Minuten Lesezeit (755 Wörter)

Der Fontainebleaueffekt erster Ordnung

lepreux

Als ich noch jünger und grün hinter den Ohren war und keine Kinder hatte, konnte ich mit dem Bouldern nicht viel anfangen. Mich faszinierte die längere Konzentration bei einer Rotpunktbegehung sowie das Ausdauerklettern am letzten Hemd deutlich mehr als das kurze und kräftige Anreißen an kniehohen Felsen. Bouldern war eher ein Notprogramm, wenn sich – was oft genug vorkam- kein Seilpartner fand. Im Nachhinein betrachtet war das trainingstechnisch ein großer Fehler, da ich die Maximalkraft auch beim Seilklettern hätte brauchen können, aber wie heißt es so schön: Klüger ist man erst in Nachhinein, wenn es einem nichts mehr hilft.

Wie eingangs schon erwähnt: Die Kinder kamen zur Welt, Zeit wurde knapp und nach einem missglückten Familienseilkletterurlaub, dem mehrere Freundschaften zum Opfer fielen, hängten wir das Seil an den Nagel und fuhren nach Fontainebleau. Das Ergebnis überzeugte. Man braucht zum Bouldern wenig Zeit. Wenn man sich ein wenig beeilt, ist man nach einer Stunde Matsch. Den Kindern macht das Bouldern Spaß, die Zustiege sind kurz und falls man einem kleinen Racker das Leben retten muss, was drei- viermal die Stunde notwendig ist, dann springt man vom Felsblock und rennt ihm nach.

Wie oft wir dann noch in Fontainebleau waren, kann ich euch nicht sagen. Fünfzehnmal? Zwanzig? Who knows? Wer mir nicht glaubt, kaufe sich den neuen Boulderführer von Djingo Wobbly und schlage die Seite 79 auf.

Wie oft war ich wohl im Schloss Fontainebleau mit der ewig gleichen Napoleonausstellung? Dreimal besuchten wir das Krankenhaus von Fontainebleau, einmal von Nemours. Ich habe den Ostheopathiewochenendnotfallsdienst sehr zu schätzen gelernt. Geocaches, Paddeln und Baden an der Loing auf einem rosaroten Plastikflamingo, ab ins überfüllte und stickige Paris und laut hupend den Triumphbogen dreimal umrunden…

Kurz gesagt: Ich bin gerade von einem vierwöchigen Boulderaufenthalt zurück und frage mich: Was kann Fontainebleau und meine das natürlich klettertechnisch. Die Softskills sind schwer zu erfassen, aber die Tritte kamen mir im Newton gestern eher überdimensioniert und die Platten ziemlich flach vor. Es gibt aber zum Glück eine in der Zwischenzeit schon mehrjährige Messreihe, die mein Kraftniveau protokolliert. Damit können wir Hardfacts reden.

Es gibt Leute, die nach Font fahren, um einen berühmten Boulder mehrere Wochen zu belagern, während ich lieber Parcours klettere. Es gibt zwanzigtausend Boulder in Bleau, einer besser als der andere, und mir ist lieber, möglichst viele davon zu klettern als einen sauschweren. Wie schaut also mein Kraftniveau aus, nachdem ich vier Wochen in Font war? Ich machte wenig Rasttage, kletterte manchmal zweimal am Tag, in der Früh und am Abend, wenn es kühl war: meistens orange und blaue Boulder, also zwischen 2a und 5b. Hie und da webte ich auch einen schwereren bloc bis 6c hinein.

Abbildung 1 zeigt, wie lange ich mich an einer 20 mm – Leiste mit beiden Händen halten konnte. Die roten Kreise zeigen die erste Belastung an, grün die erste Wiederholung nach ca. 10 Sekunden Pause, die blauen Dreiecke die zweite Wiederholung usw. 2021 begann ja ganz gut mit durchschnittlich 11 Sekunden. Im Mai gab es eine Trainingspause, weil die Anlage im blochouse aufgebaut war, dann ging es bergab. Im Sommer 2021 plagte mich eine Trainingspause, weil mir passend zur politischen Situation beide Handgelenke so weh taten, als ob man mir Handschellen zu eng angelegt hätte. Dann gab es Corona 1.0 sowie viele Reisen durch Europa auf der Suche nach Alternativen.

Im Jänner 2022 war ich dann bereit für den Neustart mit einer Haltezeit von rund 2 Sekunden bei der ersten Belastung mit stark fallender Tendenz bei den Wiederholungen. Die Erstbelastungen mauserten sich im Laufe der Monate auf rund 10 Sekunden Haltezeit, die Wiederholungen… schwamm drüber.

Und jetzt – Trommelwirbel – der Fontainebleaueffekt zweiter Ordnung. Sehr beeindruckend, oder? Die letzte Datenreihe zeigt meinen Trainingszustand an: Haltezeit bei der ersten Belastung steigt um 50% von 10 Sekunden auf 15 Sekunden und auch die Wiederholungen können sich sehen lassen und erreichen rund 9 Sekunden. Selbst bei der vierten Belastung ist noch ein bisserl was im Tank und ich bleibe 3 Sekunden hängen.

Abbildung 1 Haltezeit auf einer 20 mm breiten Leiste

Er redet jetzt schon die ganze Zeit vom Fontainebleaueffekt zweiter Ordnung, höre ich den aufmerksamen Leser zu sich selber murmeln. Gibt es auch den Fontainebleaueffekt erster Ordnung? Ja, mein lieber Leser und Kletterkumpel. Ja, den gibt es. Der Fontainebleaueffekt erster Ordnung ist es, mit einem kleinen Rucksack am Rücken den orangen, blauen oder roten Pfeilen von einem Felsen zum nächsten zu folgen, raufzuklettern und sich dabei unvorstellbar wohl zu fühlen.

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