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6 Minuten Lesezeit (1125 Wörter)

Eine Prise Glück...

winter

Das Erlebnis ist schon einige Jahre her. Dennoch holt mich diese Geschichte in meinen Gedanken immer wieder ein und erinnert mich daran, dass man beim Klettern eine Prise Glück immer gebrauchen kann.

Der Schnee kam früher als erwartet. Am Nachmittag, als ich den steilen Hang zum Dumpfbackenblick bei Peggau hinaufschwitzte schien noch die Sonne. Und das bei frühlingshaften Temperaturen. Die dichten Schneeflocken bemerkte ich erst als ich, auf meinem Crashpad sitzend, unter dem Überhang eine Pause einlegte. Die ganze Zeit über hatte ich so konzentriert an den Einzelzügen meines Boulderproblems getüftelt, dass ich alles um mich herum vergaß und erst jetzt bemerkte, dass alle Geräusche rund um mich verstummt waren. Nur das leise Rieseln der Schneeflocken war zu hören. Unter dem Überhang blieb alles trocken und so gab es für mich keinen Grund meine Session zu beenden. Der Umstand, dass es empfindlich kälter wurde, brachte guten Grip mit sich. Ein Grund mehr um zu bleiben und den Moves auf die Schliche zu kommen.

Erst spät, bei etwa zehn Zentimetern Neuschnee, machte ich mich an den Abstieg. Es wurde eine entsetzliche Rutschpartie und bis ich das Auto erreichte, landete ich einige Male am Hosenboden. Nass und dreckig kam ich unten an.

Aus irgendeinem Grund entschied ich mich, anstatt den kürzeren Weg nach Norden zu nehmen, nach Süden abzubiegen. Unter der Brücke beim Kugelsteinparkplatz stand einsam und allein ein VW Bus mit Brucker Autonummer. Nachdem ich von Haus aus neugierig bin, blieb ich stehen. Der Kugelstein sah aus wie die Eiger Nordwand. Tiefverschneit und absolut alpin. Ich suchte die gängigen Routen ab. Keine Menschenseele war zu sehen. „Da wird die Seilschaft aber ordentlich zu kämpfen haben" dachte ich bei mir selbst. Noch einmal umrundete ich den Bus. Er könnte dem Tom R. gehören. Sicher war ich mir nicht. Aber es würde zur Geschichte von Martin S. passen, der mir vor kurzem von Toms neuem Projekt an der Darmwand erzählte.Noch einmal suchte ich die Darmwand ab. Nichts zu sehen. Eine Weile wartete ich noch und bei Anbruch der Dämmerung entschloss ich mich zu fahren. Vielleicht gehörte der Bus ja gar nicht Tom. Vielleicht auch nicht einmal einem Kletterer. Hier parkten auch immer wieder Angler. Jogger. Oder Wanderer die mit ihren Hunden einen Spaziergang machten. Oder er gehörte gar jemandem der im Inneren des Wagens ein Nickerchen machte und sich wegschnarchte. Ich hatte auf dem Parkplatz schon alles Mögliche erlebt. Ganz wohl aber war mir nicht als ich den Zündschlüssel umdrehte.

Die Bewegung am Ende des Parkplatzes sah ich erst im letzten Moment im Seitenspiegel. Eine verschneite Gestalt mühte sich, wie in Zeitlupe, aus dem Gebüsch. Im ersten Augenblick fiel mir Franz H. ein, der sich im fortgeschrittenen Alter auch ähnlich langsam bewegte. Zu ihm aber fehlte mir das Moped mit der Holzkiste am Gepäckträger auf dem Parkplatz. Auf den zweiten Blick erkannte ich Tom R. Gestützt auf einen Stock kam er langsam auf mich zu. Irgendetwas an der Szenerie gefiel mir gar nicht.

Er habe einen Unfall gehabt erzählte er mir. Oben an der Darmwand. Beim Putzen. Genau genommen war es gar nicht beim Putzen sondern als er sich zum Betrachten einer blühenden Kuhschelle besonders weit hinauslehnte, löste er mit dem Seil einen ziemlich großen Felsblock. Der zischte direkt auf ihn zu und – Glück im Unglück – er erwischte ihn nur am Bein, knapp oberhalb des Knöchels. Der Rückzug im Schneetreiben war dann eine ziemlich üble Aktion erzählte er. Sogar durch den steilen Wald am Wandfuß musste er sich abseilen.

Zum Glück sei er jetzt beim Auto. Tom sah auf die Uhr. „Allerhöchste Zeit um Lebensmittel einzukaufen", bemerkte er," die Geschäfte schließen bald ". Ich sah ihm an, dass er große Schmerzen hatte.

„Alter" sagte ich zu ihm. „Wir sollten zuerst einmal dein Bein verarzten".

„Geht schon" kam es gepresst zurück. „Die Geschäfte sperren gleich zu und ich hab eine ziemlich lange Einkaufsliste".

Ich ließ nicht locker.

Tom tischte eine neue Version auf um einer Verarztung zu entgehen.

„In drei Wochen hab ich Urlaub" sagte er. „ Zwei Wochen Paklenica. Da muss ich topfit sein"

Jetzt erst sah ich, dass er sich große Sorgen machte. Die Verletzung musste weit schlimmer sein als er es sich anmerken ließ.

„Also ich fahr jetzt"

„Tom!"

„Meinst du wirklich wir sollen reinschauen?" fragte er mit unsicherem Blick.

„Wir müssen!" entgegnete ich. „Und dann fahre ich dich nach Hause".

Tom hatte vier Paar Socken übereinander an. Mit jeder Schale, die er sich auszog, wurde das Ausmaß der Verletzung offensichtlicher. Immer größer wurden die Blutflecke. Tom hielt den Atem an als er sich mit zusammengebissenen Zähnen den letzten Socken auszog. Er war mit Blut an seinem Bein verklebt. Schließlich sahen wir beide was wirklich passiert war.

„Scheiße".

Das Loch im Bein ging bis zum Knochen.

„Ok" sagte ich zu Tom, der sich immer noch sorgte ob er wohl zu Urlaubsantritt fit wäre.

„Ich fahr dich ins Krankenhaus"

Tom nickte resignierend. Wir verstauten seine Ausrüstung im Bus und versteckten den Zündschlüssel. Gemeinsam verarzteten wir die Wunde so gut wir konnten.

Der Schneefall hielt unvermindert an und mit jedem Kilometer, den wir auf der Autobahn zurücklegten, wurde Tom am Beifahrersitz unruhiger. Nun ließ der Schock nach und die Schmerzen wurden von Minute zu Minute spürbarer. Selbst hätte er wohl nie und nimmer fahren können.

Beide waren wir wohl gleichermaßen erleichtert als wir die Rampe zur Notaufnahme des Krankenhauses hochfuhren.

Die Prozedur am Schalter kannte ich schon von früher. Zuerst einmal e-card und Personalien. Ob der Fuß noch dran war oder nicht war nebensächlich. Es war jedes Mal dasselbe. Tom spielte, auf der Trage liegend, seinen Charme aus und eine zufällig vorbeikommende Ärztin erkannte, dasshier tatsächlich die Versorgung wichtiger war als die Bürokratie und beschleunigte den Vorgang entscheidend.

„Ich werde dir erzählen wie es in Paklenica war" sagte Tom zum Abschied.

Nachdenklich trat ich den Weg nach Hause an. Ich stellte mir vor, wie er, bewusstlos im Seil hängend, die Nacht wohl nicht überlebt hätte. Im Geiste sah ich ihn vor mir. Stocksteif gefroren. Vermutlich wäre ich der einzige Mensch gewesen der zumindest geahnt hätte wo er sein könnte. Ob ich die Rettungskette hätte in Gang setzen müssen? Ich hätte mir große Vorwürfe gemacht wenn wirklich ein Unglück geschehen wäre. Dabei wusste ich doch gar nicht ob das Fahrzeug wirklich einem Kletterer gehörte. Möglicherweise wäre mein ungutes Gefühl erst auf der Heimfahrt oder gar abends zu Hause so unerträglich geworden, dass ich doch noch die Bergrettung verständigt hätte. Aber das war jetzt vorbei. Zum Glück ist es gut ausgegangen. Tom hat die Sache überstanden. Etwas ramponiert zwar, aber es hätte weitaus schlechter ausgehen können.

Tom spricht mich seither als „Lebensretter" an, was natürlich nicht stimmt. Ich habe ihn ja lediglich ins Krankenhaus gefahren.

Dass ich ein paar Monate später, nur ein paar hundert Meter entfernt, tatsächlich einer lebensmüden Frau das Leben zumindest verlängert habe, hatte wohl weit mehr mit einer Lebensrettung zu tun. Aber das ist eine andere Geschichte.

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