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5 Minuten Lesezeit (1027 Wörter)

Geschichten aus dem Hochschwab (Teil 1) - Martin Gumpold erzählt:

DSC08393 photo credits: Martin Gumpold

Sollen wir noch eine Skitour gehen, oder doch schon die Kletterpatschen anziehen? 

Es ist zwar erst April und für den Hochschwab noch recht früh im Jahr, doch derzeit sind die Temperaturen eher sommerlich. Und dann fällt es mir doch leicht die Ski beiseite zu stellen und Christoph für einen Klettertag zu gewinnen. Und weil Christoph genau so abenteuerdurstig ist wie ich, ist schnell klar, dass wir eine Erstbegehung ins Auge fassen. Am folgenden Morgen treffen wir uns schon früh im Salzatal. Vor allem auf der Nordseite des "Schwabens" stehen gewaltige Wände in recht tiefen Lagen, und mit ihnen ausreichend undurchstiegene Linien. Die Linie zu der es mich heute zieht, kenne ich seit ich das erste Mal unter der Wand stand. Auch Christoph kennt die markante Linie.

Die freudige Aufregung erfasst mich beim Zusammenpacken der Rucksäcke. Es ist ähnlich wie beim Kofferpacken vor einerReise. Cams, Keile, Bohrmaschine, Bolts. Wie viele? Wieviele Bolts, wieviele Akkus? Das muss zusammenpassen. Die Techno-Schlinge mit den Cliffs kommt natürlich auch mit. Ein Teil der Ausrüstung von dem ich mir jedes Mal wünsche es nicht brauchen zu müssen. Und dann ist er oftmals Gold wert, wenn es steil und schwer wird. Dann "zotteln" wir los, wie immer schwer bepackt. Ein bisserl Schinden gehört dazu wenn man eine neue Linie machen will, zumindest wenn man die Bohrmaschine dabei hat. Das Bohrhakendepot aus dem vergangenen Jahr, in der Nähe des Wandfußes und die verzaubernde, wilde Kulisse des nördlichen Hochschwabs, erleichtern uns den Zustieg jedoch erheblich.

Bald stehen wir unter der durchaus imposanten Wand, mit geschätzten 400 Meter Höhe und dann noch der Gipfelaufbau. Wir rechnen mit knapp 13 bis 15 Seillängen. Wir sehen, dass unsere Risslinie etwas "saftelt". Die alternative Linie weiter rechts wäre trocken, aber nicht so spektakulär und prägnant. Und alles was in einem Satz vor einem "aber" kommt ist bedeutungslos habe ich mal gehört. Wir sagen salopp "wird schon gehen, vielleicht trocknet es mit dem Föhn ja auf?". Ja natürlich, der kleine Wasserfall wird sicher auftrocknen bis wir oben sind. Unsere Motivation ist unsere Triebfeder. Die Entscheidung ist gefallen, ich lege los. Die erste Seillänge, leicht, plattig, griffig, in gutem Fels. Ich bin begeistert. Zweite Seillänge, leicht, plattig, etwas steiler, griffig, perfekt. Unglaublich…ein alter Normalhaken. An der Stelle wo ich gerade stehe, stand schon mal jemand. Schnell glauben wir zu verstehen, dass frühere Kletterer einen Vorstoß gewagt haben, vermutlich von links nach rechts in einer ausgeprägten Schwachzone der Wand. Dokumentiert ist dies jedoch nirgends!

Dann bekommen wir Besuch. Unten im Tal brummelt der schwere Geländewagen des Jägers daher. Er bleibt stehen, steigt aus dem Auto aus, blickt sich um. Mit seinem scharfen Luxus-Swarovski Feldstecher hat er uns im Nu erfasst. Wir geben ihm das Geheimzeichen hinab ins Tal. Die erhobene Hand in leicht winkenden Bewegungen.Wir grübeln nach wie es ihm mit dem Geheimzeichen gerade ergeht.

Vom zweiten Standplatz weg beginnt jetzt der erste kleine Wasserfall. Christoph hat Lust ins Neuland vorzudringen. Das viele Wasser macht ihm zu schaffen. An der Schlüsselstelle dieser Seillänge läuft ihm das Wasser von der Leiste, die er mit Rechts hält, über die Finger, das Handgelenk und über den angespannten Unterarm in die Achselhöhle weiter. Auch so kann sich Abenteuer anfühlen. Auf einem ausgeprägten Felsköpfl findet er einen guten Standplatz. 

Dann geht es hinein in die erste Schlüsselseillänge. Ein senkrechter Riss inklusive Wasser. Er wirkt ein wenig unheimlich, feucht, kalt und glitschig. Wir könnten uns raufbohren, doch eine Bohrhakenleiter kommt für uns nicht in Frage. Christoph startet hinein. Immer wieder muss er zwischen den Bohrhaken kämpfen, und er ist wirklich kühn unterwegs an diesem Tag. Kurz vor dem Ende der 4. Seillänge reicht es ihm aber. Es ist dort oben alles nass und er weiß nicht so recht wie weiter. Ich lasse ihn zum Stand herab, wir wechseln und ich binde mich ans scharfe Ende des Seiles ein. Intuitiv spüre ich bereits, dass es Zeit wird die Cliffs auszupacken. An Christophs Umkehrpunkt erkenne ich schnell die Problematik. Eine "waschelnasse" senkrechte 5 Meter Wandstelle trennt uns von einem kleinen Ledge, das einen optimalen Standplatz bieten würde. Bis ins erste Drittel der Wandstelle sollte ich es schaffen, da ist ein sehr guter Tritt. Ja, es löst sich auf, jetzt stehe ich dort, aber einen Bohrhaken setzen kann ich nicht. Alles ist nass und die kleinen rauen Strukturen reichen gerade um mich an der Wand zu halten.

"Clifftime!". Die Finger suchen den Fels nach kleinen Tropflöchern ab. Tatsächlich finde ich eines das passen könnte und ich positioniere den Cliff darin. Bevor ich ihn belaste prüfe ich seine Position genau und versuche auch zu erkennen ob der Fels solide ist und nicht brechen kann. Sollte passen. Das Hineinsetzen erfolgt weniger entspannt als das morgendliche "Sit-down" auf die Kloschüssel daheim. Er hält. Vorsichtig ziehe ich die Techno-Schlinge kürzer und mich damit näher zum Cliff. Mein ganzer Körper hängt am "Eisenhaken" der sich unter meiner Last leicht aufbiegt. Die Ausführung der Bewegungen reduziere ich auf das Wesentlichste, die Geschwindigkeit drossle ich auf Zeitlupe. Aufregend! In diesem Moment muss ich innerlich schmunzeln. Da ist es wieder, dieses Flow-Erleben. Dieses intensive Sein und Handeln im Moment welcher meine volle Aufmerksamkeit verlangt. In einer senkrechten Wand, 3 Meter über dem letzten Bohrhaken an einem Cliff zu hängen müsste, rein logisch betrachtet, in mir auch Angst auslösen, doch dafür bleibt gerade kein Raum! Nachdem der Bolt gesetzt ist, überkommt mich dennoch eine Erleichterung von kurzer Dauer. Dieses Wechselspiel ist überaus reizvoll und intensiv. Ich hole Christoph zum Standplatz nach. Nass wie er im Riss geworden ist, dürstet ihn nicht nach Wasser sondern nach dem Wissen wie und wo ich den Cliff eingesetzt habe. Seine bisherigen Clifferfahrungen waren ausschließlich, "unter der Last ausgebrochene Leisten." Wir vereinbaren ein kleines Clifftraining. Ich spüre, dass auch mir das wieder gut tun wird.

Nach knapp 10 Meter in der 5. Seillänge stoppt uns das Wasser nun endgültig. Es ist auch schon spät und wir entscheiden uns für einen Rückzug. Wir lassen die übrig gebliebenen Bohrhaken am letzten Standplatz zurück und nehmen die Eindrücke über die schöne und anspruchsvolle Kletterei mit nach Hause.

P.S.: Topos und Beschreibungen zu den Routen und Erstbegehungen in meinen Geschichten, werden im neuen Hochschwab Kletterführer zu finden sein (Erscheinungsdatum 2019/2020).

photo credits: Archiv Martin Gumpold

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