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6 Minuten Lesezeit (1173 Wörter)
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Hells Bells oder die Frage nach dem Warum

Hells Bells oder die Frage nach dem Warum

Keuchend lege ich die letzten Meter zurück. Die Steigung hier herauf ist immer wieder anstrengend, doch jetzt erreiche ich ebenes Gelände. Mir gegenüber ragt die Ostwand des Burgstalls in den Himmel. Roter und grauer- meistens überhängender Fels. Mein Auge sucht nach den Linien. Da – der Austiegsüberhang des Drachentöters mit seinen runden Strukturen. Dort – die ungesicherte Verschneidung oberhalb der Schlüsselpassage des Morgensterns. Nur ein Glücksdynamo hat mich damals vor dem drohenden Abflug bewahrt. Ich setze mich auf einen Baumstumpf und genieße den Augenblick. An diesem Sonntag im Spätherbst bin ich der einzige Mensch im ganzen Bärenschütztal. Es ist ein Privileg hier zu sein und diese Ruhe erleben zu dürfen.

Unweit des Tales, kaum fünf Minuten entfernt, habe ich mit meiner Frau ein Haus gebaut. Ich bin hier aufgewachsen. Ich bin hier Zuhause. Jeden Morgen, auf dem Weg zur Arbeit, fällt mein Blick in dieses Tal mit seinen unglaublichen Felswänden. Es hält noch jede Menge Ziele für mich bereit. Routen die ich in meinem Leben noch klettern möchte. Routen die ich noch einmal klettern möchte.

Mit dem Klettern habe ich vor vierzig Jahren begonnen. War es anfänglich die Abenteuerlust, die mich als Jugendlichen dazu gebracht hat, so kam rasch die sportliche Komponente dazu. Am Ratengrat wurde zu dieser Zeit erstmals der siebte Grad geklettert. Jedes Wochenende kamen neue, noch schwierigere Routen hinzu. Die Kletterwelt war im Aufbruch. Und ich mit dazu.

Grinsend erinnere ich mich an dieses Golden Age des Klettersports zurück. Einmal habe ich sogar meinen Job fristlos gekündigt, nur um mit Freunden, mit dem Zug nach Finale Ligure zum Klettern fahren zu können. Oder der Roadtrip ins Verdon! Es war meine erste Autofahrt ohne Fahrlehrer. Irgendwo in Italien blieb die Bremse stecken. Das hässlich scheuernde Geräusch wurde aus der Welt geschafft indem wir das Autoradio lauter drehten. Ab Nizza ließ sich die Kiste ohne Hilfe nicht mehr starten. Zum Glück hatte ich Starterkabel dabei. Irgendwann später leckte der Kühler. Mit zwei Dosen Flüssigkleber wurde auch das erledigt. Die Heimfahrt ist mir noch in besonderer Erinnerung. Freitag 15 Uhr. Rushhour auf der Autobahn bei Mestre. Ein infernalisches Gewitter ging nieder. Wir gurkten ohne funktionierende Bremsen zwischen den dahinrasenden LKWs herum und die quietschenden Scheibenwischer passten sich der Gesamtperformance der Karre an.

Im Laufe der Jahre folgten viele, ähnlich geartete, Ausflüge. Keinen Einzigen davon möchte ich missen.

Das Klettern hält mich immer noch so gefangen, wie am ersten Tag. Ich muss schmunzeln, wenn ich daran denke, wie die Natur doch das Leben regelt. Das Älterwerden. Die Haare werden grau und schütter. Der Bizepsumfang nimmt ab. Der Waschbrettbauch weicht einem Waschbär..naja lassen wir das lieber. Aber all das ist einem egal. Im Herzen lodert das Feuer für das Klettern wie eh und je. Man ist voller Träume, voller Ziele und voller Optimismus, diese eines Tages doch noch in die Tat umsetzen zu können.

Der eisige Bergwind kündigt den nahenden Winter an und holt mich aus meinen Gedanken. Nach ein paar Schlucken Tee gehe ich fröstelnd weiter.

Wenige Minuten später stehe ich unter der Weissen Wand. Wowww! Sind das geniale Linien! Wieder einmal stehe ich staunend darunter. Mein Auge erkennt Griffe und Tritte. Meine Gedanken erinnern sich an Bewegungen und Lösungsmuster von vergangenen Versuchen. Bald werde ich wiederkommen. Mit liebgewordenen Freunden. Gemeinsam werden wir in der Sonne sitzen und die Routen projektieren. Miteinander werden wir leiden, wenn der Versuch misslingt. Miteinander werden wir uns freuen, wenn einer von uns doch erfolgreich sein wird. Wir werden einander während des Sicherns anfeuern. Auch dann noch, wenn die übersäuerten Muskeln schon längst den Dienst quittieren wollen. Weiter! Weiter!Allez!Allez! Meine Gedanken sehen mich jetzt dort oben. Sehen mich die Züge machen. Dynamisch, kraftvoll, entschlossen. Purer, erdiger Rock`n Roll klingt in meinen Ohren. Hells Bells…

„Es ist gar nicht so wichtig, ob man gewinnt oder verliert. Wichtig ist nur, dass man immer bereit ist, für eine Sache zu kämpfen, von der man träumt!"

Dieses Zitat begleitet mich schon mein ganzes Leben und jetzt, unter den Überhängen der Weissen Wand fällt es mir wieder ein. Wieder tastet sich mein Auge nach oben. Dorthin, wo Ketten das Ende der Träume markieren. Im Frühling komme ich wieder!

Als die Sonne hinter den Wolken verschwindet mache ich mich an den Abstieg. Ich laufe den verbotenen Weg talauswärts.Erreiche die Arena. Breite Wasserstreifen ziehen über die Überhänge. Für heuer ist die Saison dort zu Ende. Ich schaue zur glatten Wandflucht der unteren Arena hinauf. Dort oben haben sich Tragödien meines Klettererdaseins abgespielt. Nur weil ich zu stur war, meine Lösung in der Route Yuppie`s Traum zu ändern, bin ich Dutzende Male an derselben Stelle abgegangen. Ich wusste, dass es anders und einfacher geht. Aber nein – immer wieder versuchte ich, meine Idee durchzusetzen. Im Geiste sehe ich mich jetzt dort oben klettern. Mit dem Daumen meiner rechten Hand erreiche ich weit oben ein Schüppchen. Mein ganzer Körper verspannt sich. Meine Rechte schnellt hinauf. Berührt die Kante des Zweifingerlochs. Für Sekundenbruchteile bleibe ich mit den Fingerspitzen hängen. Dann reißt mir der Schwung die Füße von den Tritten. Aaaaarrrrghhh!!!!! Die Talfahrt beginnt. Wie so oft. Die Route ist mir letztlich aber doch gelungen. Im Spätherbst 1990 bei Temperaturen knapp über null Grad. Ohne Aufzuwärmen bin ich eingestiegen und ich höre jetzt noch meine Fingergelenke knirschen, wenn ich das Zweifingerloch herziehe. Diesmal kann ich es halten…Wieder begleiten die Gitarrenriffs von Angus Young meine Erinnerungen. Dort oben braucht es harten Rock. Mit „Atemlos" kommt man da nicht ans Ziel. Im Frühling werde ich wieder in Yuppi einsteigen. Wieder werde ich es mit meiner Lösung versuchen. Manche Dinge ändern sich wohl nie.

„Die Arena verteilt keine Geschenke" Kein Satz könnte das Massiv treffender beschreiben. Ich freue mich auf`s Wiederkommen. Kann es kaum erwarten die Griffe dort oben zu spüren. Dann drehe ich mich um und laufe weiter. In ein paar Minuten werde ich Zuhause sein.

Den Nachmittag verbringe ich mit meiner Frau. Wir trinken Kaffee miteinander und unterhalten uns über dies und das. Seit vielen Jahren kennt sie nun mich und meine große Leidenschaft. Sie weiß, was ich denke, wenn ich aus dem Fenster blicke. Gegenüber unserem Haus ist eine Steinmauer. Wenn die trocken ist, dann sind auch die Routen in der Arena trocken. Es ist ein Indikator der niemals versagt. Wenn die Mauer trocken ist, werde ich unruhig. Die Unruhe legt sich erst wenn ich meinen Rucksack ins Auto werfe und meine Ray Ban Brillen aufsetze. Zeitgleich mit dem Aufheulen des Motors startet der Subwoofer. „Hells Bells…"

Diesen Nachmittag aber verbringen wir gemeinsam im Wohnzimmer und erst abends verschwinde ich im Keller. Vor kurzem habe ich dort meinen Trainingsraum fertiggestellt und vor wenigen Tagen erst mein neues Griffboard montiert. Ein bisschen durfte ich an der Entwicklung des Kraxlboard Rock teilhaben und nun wird es mich durch den Winter begleiten. An den Wänden hängen Poster. Chris Sharma in La Dura Dura. Ich im Zeitgeist. Chris ist sein Projekt geklettert. Der Zeitgeist wartet noch auf meinen Durchstieg. Ich schalte die Stereoanlage ein und ziehe mein T-Shirt aus. Meine Hände tauchen in den Chalkbag. Sorgfältig sortiere ich meine Finger in die runden, abschüssigen Leisten. Beim ersten Glockenschlag von „Hells Bells" ziehe ich durch.…

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Kommentare 1

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Irmgard Braun

am Donnerstag, 24. August 2017 16:21

Wunderbar geschrieben. Ich kann das alles sehr gut nachfühlen! Und jetzt geht´s ab nach Arco an die Leisten!

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Wunderbar geschrieben. Ich kann das alles sehr gut nachfühlen! Und jetzt geht´s ab nach Arco an die Leisten!