Skip to main content
8 Minuten Lesezeit (1574 Wörter)

Hinter den Kulissen

Hinter den Kulissen

November 2016. Die Idee, einen Film zu drehen, kam mir im letzten Sommer. Es sollte ein Kletterfilm werden. Mit mir als Hauptdarsteller. Und ich wollte mich damit beim Mountainfilmfestival in Graz einem großen Publikum und der Jury stellen. Eine ganze Weile beschäftigte ich mich mit in Frage kommenden Locations beziehungsweise mit der Handlung selbst. Ohne Drehbuch ging einmal gar nichts und mir gefiel die Rolle eines in die Jahre gekommenen Sportlers, der es noch einmal wissen wollte.

Als der Herbst schließlich die Blätter an den Bäumen zu verfärben begann, dämmerte mir, dass ich mir für die notwendigen Vorbereitungen zu viel Zeit gelassen hatte. Die ersten Flyer des nahenden Mountainfilmfestivals waren bereits im Umlauf und ich hatte absolut nichts in Händen. Keine Idee , keine Filmcrew , keine Ausrüstung , kein Nichts. Es war an der Zeit von meinem Vorhaben Abschied zu nehmen oder es zumindest auf das nächste Jahr zu verschieben - wäre da nicht mein Dickkopf im Weg gestanden.

Vorschnell aufzugeben entspricht so ganz und gar nicht meinem Naturell und so beschloss ich blitzartig, an einem Felsen mit dem seltsam anmutenden Namen „Dumpfbackenblick", einen Bouderclip zu drehen. Von einigen Problemen dort konnte ich zumindest einzelne Moves ziehen und ich vertraute darauf, mit geschickten Kameraeinstellungen Sequenzen schaffen zu können, die dem Betrachter eine durchgehende Begehung vorgaukelten.

Die erste Sequenz filmte ich bereits am Weg zur Dumpfbacke. Dieser führt, kurz vor einem Tunnel, über Eisenbahnschienen und jedes Mal war der Überstieg ein Vabanquespiel mit heranrasenden Zügen, die ich erst im allerletzten Augenblick zu sehen bekam. Es könnte, so überlegte ich mir, den Film bestimmt höllisch aufpeppen wenn er gleich zu Beginn ein Himmmelfahrtskommando zeigte, das den Betrachter glauben ließ, ich würde mitsamt meinem Crashpad unter die Räder kommen und vom Intercity ins Jenseits befördert werden. Diesmal wartete ich länger als gewohnt und konnte bereits die drei Lichter der Lok aus dem Tunnel blitzen sehen, als ich zu rennen begann. Für bange Sekunden war ich im Film verschwunden und erst als der letzte Waggon vorbeigezischt war, sah man mich auf der gegenüberliegenden Seite der Bahngleise stehen. Diesmal war es noch viel knapper hergegangen als geplant und ich hatte meinen Schutzengel wohl ordentlich strapaziert um heil aus dieser Nummer herauszukommen.

Meine Filmausrüstung bestand aus einem Smartphone und einem biegsamen Stativ welches ich mir am Abend zuvor für ein paar Euro bei einem Electronic Discounter zugelegt hatte und meine ganze Hoffnung auf das gute Gelingen des Films hing einzig und allein an den Qualitäten des Photoshop-Bearbeitungsprogrammes auf meinem Computer.

Keuchend erreichte ich kurz darauf den Überhang und musste feststellen, dass mein Optimismus, dort jemanden anzutreffen der mein Smartphone bediente, vergebens war. Ich war allein.

Den ganzen Nachmittag mühte ich mich an unterschiedlichsten Sequenzen ab. Manchmal konnte ich mich gar nicht an den Griffen festhalten ohne mit einem Bein am Boden zu stehen und nur durch gefinkelte Kamerapositionen gelang es mir, den Eindruck zu erwecken alles würde Rechtens sein. Als ich bei Einbruch der Dämmerung den Rückweg zum Auto antrat, hatte ich alles im Kasten.

Es folgte ein ganzes Wochenende am Computer bis ich Sonntagabend das Ergebnis in Händen hielt. 5.04 Minuten Film - voll mit geballter Action. Ich war zufrieden. Man konnte gar nicht erkennen, dass ich mich körperlich in weit schlechterer Verfassung befand, als am Clip zu sehen war. Jemand, der die Boulder an diesem Überhang nicht kannte, würde auch nie dahinterkommen, dass es sich um einen völlig sinnlosen Zusammenschnitt handelte. Der Film gaukelte die Begehung eines Boulders vor, den es gar nicht gab. Ein absolutes Highlight des Films aber war die Szene auf den Bahngleisen, auf die ich besonders stolz war.

Die große Ernüchterung folgte in dem Moment als ich bemerkte, dass der Termin für das Einreichen der Filme längst abgelaufen war. Ich sank völlig deprimiert vor dem PC in mich zusammen. Sollte das alles umsonst gewesen sein?

Es war zum Verzweifeln. Aber zum Verzweifeln war es im Verlaufe dieses Filmprojektes schon mehrmals gewesen und jedes Mal konnte ich mich mithilfe schräger Ideen wieder aus diesen Sackgassen herauswinden. Dass es auch diesmal eine schräge Idee brauchte war mir klar und – sie ließ nicht lange auf sich warten. Ich würde mir mittels nicht ganz legaler Methoden Zutritt zum Backstage Bereich des Festivals verschaffen und mittels ebenfalls nicht ganz legaler Methoden eine Vorführung meines Films im Hauptabendprogramm erwirken. Nach einigem Nachdenken kam ich auf die Idee mit einer Entführung. Ich müsste jemanden kidnappen, so überlegte ich, der den Organisatoren des Festivals nahestand und der es ihnen wert war, meinen Film praktisch als eine Art Lösegeld für die Freilassung, vorzuführen. Bald hatte ich auch mein Opfer gefunden. Meine Wahl fiel auf Matthias A. Eigentlich kannten wir uns gar nicht persönlich, hatten nur einmal ein paar mails hin und hergeschickt. Matthias gehörte zum Organisationsteam. Ohne ihn lief gar nichts. Für meinen perfiden Plan war er ein perfektes Opfer. Im Internet fand ich ein Foto von ihm. Ich steckte mir den Ausdruck, gemeinsam mit dem USB Stick auf den ich meinen Film gespeichert hatte, in die Tasche und machte mich auf den Weg.

In Graz betrat ich das Gebäude in dem der Filmabend stattfand. Ich kaufte mir eine Eintrittskarte und machte mich auf die Suche nach Matthias. Wieder einmal stellte ich fest, dass mein Optimismus mit der Realität nicht ganz konform ging. Es waren Unmengen von Leuten rings um mich herum. Die Chance hier eine bestimmte Person zu finden war praktisch bei null. Noch dazu wenn man diese Person gar nicht kannte.

Wieder einmal machte sich Verzweiflung breit. Alles umsonst. Die Minuten verstrichen und wurden zu Stunden. Mittlerweile liefen die Filme des Hauptabendprogrammes. Von Matthias keine Spur. Für eine Planänderung war es längst zu spät. Gedanklich verschob ich mein Vorhaben auf den nächsten Tag und gerade als ich mich daran machte den Heimweg anzutreten kam mir der Zufall zu Hilfe. Am Ende des Ganges tauchte ein Mann mit Vollbart auf.

Matthias!

Ich heftete mich unauffällig, wie ein Privatdetektiv, an seine Fersen und folgte ihm. Matthias eilte den Gang entlang und verschwand auf der Toilette.

Perfekt.

Er stand am Pissoir als ich den Raum betrat. Besser könnte es nicht laufen. Matthias sah nur kurz auf als er mich eintreten hörte. Dann konzentrierte er sich wieder. Glücklicherweise war außer uns beiden niemand auf der Toilette und so war es mir ein Leichtes hinter ihn zu treten und ihm meinen Zeigefinger, anstelle einer Pistole, in den Rücken zu bohren.

„Keine Angst" hörte ich mich selbst, in gefährlich leisem Ton, raunen. „Wenn du machst was ich dir sage passiert dir nichts!" Es war tatsächlich wie im Film.

Ich spürte wie sich der Körper von Matthias versteifte. Ich hatte ihn kalt erwischt. Damit hatte er wohl nicht gerechnet.

An seiner Stelle hätte ich mir jetzt bestimmt vor Angst in die Hose gepinkelt. Matthias hatte den Vorteil, dass er günstig stand. Wäre es ihm gleich ergangen, hätte es zumindest keine unangenehmen Auswirkungen für ihn gehabt.

„Also" raunte ich weiter. „Du machst jetzt hier fertig und dann holst du ganz langsam dein Handy heraus und rufst deinen Chef an. Es wird dir nichts passieren solange das gemacht wird, was ich euch sage."

Matthias nickte. Sein Atem ging keuchend. Er machte fertig und begann sein Handy aus der Tasche zu ziehen. Ich merkte wie seine Hand zitterte. Um der ganzen Sache mehr Nachdruck zu verleihen bohrte ich ihm meinen Finger noch heftiger in den Rücken.

„Ich habe einen Boulderclip in meiner Tasche. Sag deinem Chef, dass er ihn nach dem nächsten Film abspielen soll. Dauert nur 5 Minuten. Zehn Minuten nach Ende des Filmes bist du frei!"

So eine Entführung war ja viel einfacher als ich mir das gedacht hatte. Ich fand richtig Gefallen daran und versuchte so gefährlich wie nur möglich zu klingen.

„Los! Ruf ihn an!" Ich wurde lauter und bohrte ihm den Finger noch fester in den Rücken.

Jetzt sagte Matthias zum ersten Mal etwas.

„Ich..ich habe keinen Chef. Ich bin selbständig"

„Was??? Egal. Du hast hier beim Festival bestimmt einen Chef. Ruf ihn an!"

Matthias versuchte sich umzudrehen,

„Nicht umdrehen!!" herrschte ich ihn an. Er zuckte zusammen.

„Welches Festival?" wimmerte er.

Mein Gott stellte der sich an! Jetzt mimte er auch noch den Ahnungslosen!

„Matthias jetzt verliere ich langsam die Geduld!" schrie ich.

„Matthias? Ich heiße nicht Matthias!"

Ich erstarrte. „Waassss?"

Heilige Scheisse! Hatte ich den Falschen erwischt?

„Du bist nicht Matthias A.?"

„Nein. Den kenne ich auch gar nicht"

Oh mein Gott! Mein gesamtes Konzept fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen und ich bemerkte wie meine Knie zu schlottern begannen.

Aus den Augenwinkeln sah ich einen Besen in der Ecke stehen. Jetzt half nur noch Flucht. Ich packte Matthias, oder wen auch immer, am Kragen und bugsierte ihn in eine WC Kabine.

„Zehn Minuten" schrie ich. „Zehn Minuten rührst du dich hier nicht heraus. Und wehe du … ich stockte kurz. „Dein Handy! Schieb es unter der Tür heraus!" brüllte ich weiter. Folgsam schob er es unter der Tür durch. Ich kickte es in die Ecke.

Mit dem Besen verkeilte ich die Türklinke und ich machte mich aus dem Staub.

Erst als ich einige Häuserblocks weiter mein Auto erreichte und den Motor startete, fiel ein wenig von meiner Panik ab.

Mannomann wie bescheuert muss man wohl sein so ein Ding durchzuziehen!

Mit jedem Kilometer, den ich mich von Graz entfernte wurde ich wieder ruhiger. Es war an der Zeit mir ein hieb- und stichfestes Alibi zurechtzulegen und alsbald hatte ich ein absolut plausibel klingendes Konzept beisammen. Ich kicherte in mich hinein.

"Alter das war jetzt vielleicht schräg!"

Ort (Karte)

Ähnliche Blogs

 

Kommentare

Bereits registriert? Hier einloggen
Der Blog wurde noch nicht kommentiert.
Sei der Erste :)