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4 Minuten Lesezeit (759 Wörter)

"Jahreswechsel"

feuerwerk

Im selben Augenblick, in dem sich das Flämmchen funkensprühend die Zündschnur an der Rakete entlanghantelte, fiel die Weinflasche in der sie steckte, um. Anstatt senkrecht in den Sternenhimmel zu pfeifen düste das explosive Geschoß nun waagrecht durch den Gartenzaun direkt unter das heilige Auto unseres Nachbarn. Mit nacktem Entsetzen im Gesicht erwartete ich den finalen Feuerball und im Geiste sah ich schon das Vehikel explodieren und wie im Film „Stirb langsam 2" in handflächengroßen, brennenden Teilchen auf uns herunterregnen.

„Wummmmmmssss"

Zeitgleich mit dem Angehen des nachbarlichen Hoflichts schnappte ich meine zwei Jungs und den Rest der Feuerwerkskörper und wir hauten panisch flüchtend ab. Die Raketen versteckten wir unter der Wohnzimmercouch und als wir uns, völlig atemlos, vor dem Fernseher niederließen, kamen wir gerade noch zum Schlusslied der Kelly Family. Es war dies der wenig glanzvolle Schlusspunkt eines (wieder einmal) klettertechnischen Seuchenjahres. Nur die Aussicht, dass in wenigen Minuten ein neues Jahr beginnt, hielt mich bei Laune. Aus vollem Hals sang ich „Angels" mit dem irischen Untergang der Popmusik mit.

Im nächsten Jahr wird alles anders. Alles besser. Alles erfolgreicher. Gleich morgen werde ich mit dem Training beginnen und spätestens im Mai werde ich mich in einer Form befinden zu der man Sie sagen kann.

Wenn es nicht schon zuvor jede Menge Seuchenjahre gegeben hätte, wäre ich doch tatsächlich so naiv gewesen an diesen Wunschgedanken zu glauben. So aber weiß ich: Silvester ist nur der Endpunkt der einen Katastrophe. Gleichzeitig aber auch der Startpunkt einer neuerlichen, nicht minder großen, Katastrophe.

In den vergangenen Jahrzehnten hatte ich immer wieder Silvesterabende erlebt, die mir für ewig in Erinnerung bleiben werden. Und zwar nicht deshalb weil sie so toll gewesen wären.

Einmal bin ich mit meinen Freunden Ernst und Roman spätabends vom Bodenbauer aus zur Sonnschienalm aufgebrochen. Ohne Stirnlampen, denn schließlich war ja beinahe Vollmond. Bis zur Häuslalm gings ja auch ganz passabel. Dort kehrten wir bei Burli Luttenberger ein und ließen uns mit Gulasch und Schnapstee bewirten. An den Weiterweg zur Sonnschienalm erinnere ich mich nur mehr schemenhaft. Ich weiß nur noch, dass ich mich mehrmals zum Sterben in den Schnee legte. Da half auch der ganze Sauschädlschmaus am nächsten Morgen nichts mehr. Die Saison war gelaufen noch bevor sie begonnen hatte.

Ernst und Roman waren auch dabei, als ich mit meinem Kumpel Christian beschloss, Silvers ter im Herzen Monte Carlos zu feiern. Die ganze Woche zuvor waren wir in Finale und La Turbie geklettert und hatten mit unseren Schlafsäcken (ohne Zelt) auf einem Müllablageplatz gepennt. Am späten Silvesternachmittag betraten wir das Cafe Mozart in Hafennähe und wurden dort vom steirischen Besitzer mit ziemlich zurückhaltender Begeisterung begrüßt. Nach einer Runde Schnaps auf Kosten des Hauses (ich nehme an zur Desinfektion), komplimentierte er uns wieder zur Tür hinaus. Enttäuscht verließen wir die Metropole der Schönen und Reichen und feierten Silvester in einer Pizzeria in Finalborgo. Das darauffolgende Jahr war ist mir klettertechnisch nicht wirklich in Erinnerung geblieben.

Aber es gab auch richtig schöne Silvestertage. Mit meinem Kumpel Christian beim Klettern in der Hundswand oder auch Zuhause, an der Weissen Wand. Manchmal blieb ich auch einfach nur daheim und genoss den letzten Tag des Jahres mit meinen Lieben.

Auch für heuer hab ich das so vor. Ich werds gemütlich angehen lassen und mich in aller Ruhe auf den ersten Tag meines fünfundvierzigsten Kletterjahres freuen. Erstmals seit vielen Jahren plagen mich keine Fingerverletzungen und ich bin voller Optimismus, dass es diesmal kein Seuchenjahr werden möge und dass ich mir doch das eine oder andere Kletterziel werde erfüllen können.

Meine Ziele für 2023 sind zwar nicht bescheiden aber doch erfüllbar. Ich möchte möglichst viele schöne Stunden mit meinen Freunden beim Klettern verbringen. Ich möchte mit ihnen lachen. Mit ihnen am Fels in der Sonne sitzen. Ich möchte sie aus innerstem Herzen anfeuern wenn sie die letzten Züge zu der Umlenkung machen, die auch ich so gerne erreichen möchte. Ich werde mich mit ihnen freuen wenn sie ihre Projekte schaffen und ich werde mit ihnen mitfühlen wenn es danebengeht. Und ich werde mich zusammenreißen und mit meinen Freunden mitfighten als gäbe es kein Morgen. Und wenn alles gut geht, werde ich auch die eine oder andere Umlenkung von Routen klinken können, von denen ich schon so lange träume.

Im Keller liegt meine Ausrüstung schon fein säuberlich sortiert für 2023 bereit und zumindest einmal die Woche absolviere ich mein Trainingsprogramm am Kraxlboard Rock oder bouldere mit Freunden im Newton Kapfenberg. Von mir aus kann der Jahreswechsel kommen. Ich bin vorbereitet.

„Apropos Jahreswechsel" sage ich zu meinen Jungs. „Wisst ihr noch, wo wir letztes Mal unsere Raketen versteckt haben?"

 

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