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3 Minuten Lesezeit (691 Wörter)

Kompaktpfeiler 1983

3570_c_steiermark_tourismus_photo-austria.a_20181109-160328_1 photo credit: steiermark tourismus

 „Wruuuuummmmmm". Der erste Donner erschütterte die Wand.

Rainer und ich waren den ganzen Vormittag am Koppenkarstein, im Dachsteinmassiv, im dichten Nebel geklettert und nun waren wir völlig überrascht. Ein Gewitter? Entsetzt schauten wir uns an. Soeben hatten wir den vorletzten Standplatz erreicht und wir waren gerade im Begriff die letzten Meter zum Grat in Angriff zu nehmen, als unser Plan über den Haufen geworfen wurde. Zum Grat hinauf wäre es nun keine gute Idee mehr gewesen.

Wieder schlug ein Blitz in unmittelbarer Nähe ein. Wir entschlossen uns innerhalb weniger Sekunden zum Abseilen. Zum Glück kletterten wir mit Zwillingachtseilen und so standen uns pro Abseilfahrt 60 m zur Verfügung.

„Blauen Strick durchfädeln , roten Strick abziehen" . Jeder von uns wusste, was er zu tun hatte und trotzdem ging uns alles viel zu langsam. Die Blitze kamen in immer kürzeren Abständen, die Donnerschläge wurden immer lauter.

Tock, Tock, Tock!

Wassertropfen klopften in immer schneller werdendem Rhythmus auf meinen Helm. Ich schaute an meinem Standplatz festgebunden nach oben. Über mir bildete der Fels eine V-förmige Rinne und ich musste entsetzt zusehen, wie das Rinnsal, das sich über mich ergoss, von Sekunde zu Sekunde anschwoll. Bald stand ich in einem Wasserfall und ich bekam Atemprobleme.

Weit unter mir suchte Rainer in den peitschenden Windböen den nächsten Standplatz.

Japsend nach Luft ringend, sah ich bereits die Schlagzeile in der Zeitung vor meinem geistigen Auge:

„Kletterer am Koppenkarstein ertrunken!"

Was für ein jämmerlicher Abgang!

Kaum entspannten sich die Seile, klinkte ich mich ein. Wir arbeiteten völlig ohne Kommandos. Zweimal am Seil ziehen bedeutete „Seil frei, ich hab Stand." Seillänge um Seillänge ging es nach unten. Immer war Rainer der Erste. Er suchte die Standplätze und bereitete, während ich nach unten glitt, bereits die nächste Abseilfahrt vor.

Kaum war ich dem drohenden Ertrinkungstod entronnen, hatten wir bereits mit den nächsten Problemen zu kämpfen. Die Kälte kroch uns unter die durchnässten Kleider und unsere Finger wurden vor Kälte immer ungelenker und ungeschickter. Graupelschauer zogen über die Wand und Eisstückchen knallten auf unseren Helm, auf unsere Finger und in unser Gesicht.

Trotz allem ließen sich die Seile immer abziehen. Wir hatten riesiges Glück und befanden uns bald kurz oberhalb des Kars.

Rainer stand, als ich bei ihm ankam, völlig ungesichert auf einem schmalen Sims.

„Keine Haken", keuchte er. „Ich hab nix mehr gefunden. Wir müssen abklettern".

Entsetzt schaute ich nach unten.

„Ohne Sicherung?"

„Ja! Ist nimmer schwer!

Ich klinkte mich aus und hielt mich krampfhaft an einem Griff fest.

Rainer zog die Seile ab und warf sie nach unten.

Schockiert sah ich sie am Schneefeld unter der Wand aufschlagen. Ich war ausgeliefert.

„Komm! Mach schon! Klettere mir einfach nach!" Rainer war schon unterwegs nach unten.

Erstaunlicherweise war alles gar nicht so schlimm wie befürchtet. Ich verklemmte mich in Wasserrillen, durch die das Wasser hinunterschoss, vermied es hinunterzuschauen und bemerkte wie sich das Gewitter allmählich zu beruhigen begann.

Mit einem Aufschrei der Erleichterung sprangen wir über die Randkluft und eilten zu unserem Rucksackdepot. Die Bergschuhe waren randvoll mit Graupeln gefüllt.

Wir stopften eilig unsere Ausrüstung in die Rucksäcke und rannten das Edelgrieskar hinunter. Auf halbem Wege sahen wir schon blauen Himmel über uns, und als wir bei Rainers VW Bus ankamen, schien bereits die Sonne.

Eine halbe Stunde später konnten wir bereits wieder lachen. Wir steckten in trockenen Klamotten, tranken Bier und kochten uns leckeres Essen.

Hoch oben, am Dachstein, verzogen sich die letzten Wolkenreste des Unwetters.

Lachend erinnerten wir uns an den Beginn des Tages.

Wir standen in der Reihe vor der Kasse an der Talstation der Seilbahn und passten optisch nicht so wirklich zu den richtigen Bergsteigern vor und hinter uns.

Rainer trug eine hellblaue Jogginghose, Legwarmer bis zu den Knien, einen Trachtenjanker und eine rosa Wollmütze. Ich war nicht wesentlich unauffälliger gekleidet.

Die richtigen Bergsteiger in ihren Kniebundhosen und rotkarierten Hemden rümpften die Nase. Einer nach dem anderen trat vor die Kasse. „ÖAV" hörte ich sie murmeln. Sie bezahlten und machten sich auf den Weg zur Gondel.

Dann war Rainer an der Reihe. „Auffi" sage er.

Der Kassier verstand wohl „ÖAV" und kassierte den ermäßigten Ticketpreis.

Hellauf begeistert ermutigte mich Rainer „auffi" zu sagen, dann wäre die Karte nämlich billiger, ließ er mich wissen.

Als ich endlich drankam, sagte ich voller Überzeugung „auffi".

Der Kassierer musterte mich von oben nach unten.

„Sicher auffi" sagte er schließlich zu mir. „obi geht's do eh nimmer".

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