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6 Minuten Lesezeit (1241 Wörter)

Via Vertigine oder Robert Zink`s Erinnerungen an eine besondere Begehung im Juli 2004.

erstesDach Robert Zink im ersten Dach. Photo credit: Paul Ganitzer

Jeder, der schon einmal unter der Riesenmauer des Monte Brento im Sarcatal gestanden ist und voller Ehrfurcht hinaufgeschaut hat zu den weit ausladenden Dächern im oberen Wandteil, verspürt wohl größten Respekt vor denen, die sich auf das oft mehrtägige Abenteuer einlassen, dort hinaufzuklettern.

Robert Zink und Paul Ganitzer haben sich im Juli 2004 an die Via Vertigine herangewagt. Dass dabei nicht alles so verlaufen ist, wie sich die Beiden das vorgestellt hatten, erzählt uns Robert Zink in seiner Geschichte:

Via Vertigine - Erinnerungen an eine besondere Begehung im Juli 2004

Im Oktober 2004 wollen mein Arbeitskollege Paul Ganitzer und ich die Salathe am El Capitain begehen und suchen daher im Sommer nach geeigneten Übungstouren. Leider ist das Wetter im Juli alpenweit schlecht und durchkreuzt unsere ehrgeizigen Pläne. Da halte ich plötzlich eine erste auf Italienisch verfasste Ausgabe des Kletterführers „Hohe Wände im Sarcatal" von Diego Filippi in den Händen. Nach dem Motto „am Gardasee ist immer gutes Wetter" ist auch schon die lang ersehnte Übungstour gefunden, die „Via Vertigine" am fast 1000 m hohen und im oberen Wandteil stark überhängenden Monte Brento, Schwierigkeit 6+ A2. Ohne den italienischen Text zur Tour ins Deutsche übersetzen zu lassen, ist auch schon ein simpler Plan ausgearbeitet. Wir starten freitags am 16.07.2004 am frühen Vormittag in Villach, klettern nachmittags den unteren frei zu bewältigenden Wandteil bis zum Biwakband in Wandmitte, biwakieren dort und steigen dann samstags über den technischen Wandteil, der fast durchgehend Strickleitern erfordert, zum Gipfel auf und fahren dann spätestens wieder am Sonntag gemütlich in die Heimat zurück. Eigentlich wäre dieses Wochenende für Ingrid reserviert gewesen, aber damals waren mir Bergtouren einfach wichtiger als Frauen. So weit so gut! Am Nachmittag des 16.07.2004 geraten wir nach ca. drei Seillängen in ein infernalisches Gewitter, können uns jedoch mit einem über uns aufgespannten Biwaksack einigermaßen gut vor den die Plattenwände herunterstürmenden Sturzbächen schützen. Stark durchnässt treten wir etwas geknickt den Rückweg ins Tal an und haben die erste Lektion gelernt: auch am Gardasee bilden sich im Sommer Gewitter!

Daher Änderung der Taktik für den nächsten Tag: wir klettern den Vorbau vormittags in einer sehr schnellen Zeit, müssen dann aber viele Stunden in der heißen Sonne am Biwakband warten bis die etwas kühlere Nacht hereinbricht. Am Sonntag, dem 18.07.2004 steigen wir schließlich im Morgengrauen in den überhängenden Wandteil ein. Die Kletterei gestaltet sich aufgrund der vielen vorhandenen 6 mm Bohrhaken zwar als technisch leicht (A2e), wegen der Steilheit jedoch als sehr anstrengend. Im Tal wird es an jenem Tag über 35°C erreichen.

Bald schon verwandelt sich unsere Ostwand in einen glühenden Backofen und mit jedem Meter Überhang den wir überwinden leeren sich unsere Kraftreserven mehr und mehr. Wir fühlen uns wie menschliche Spiegeleier- erst jetzt wird uns die volle Absurdität unseres Tuns bewusst. Zu spät- kurz vor Erreichen des Standes der viertvorletzten Seillänge fällt mir ein abgerissener Bohrhaken auf. Einer unserer Vorgänger platzierte einen kleinen Haken in eine Minischuppe und konnte wohl dadurch diese heikle Stelle überwinden- war das etwa Christoph Hainz der in seinem Buch „Ausstieg in die Senkrechte" eine solche Episode beschreibt? Gegen 16 Uhr belaste ich den Haken vorsichtig, steige in die letzte Sprosse auf und bin gerade dabei den nächsten Bolt zu clippen, als die Minischuppe bricht und ich mit einem Schrei durch die Luft fliege. Sofort wird mir die Ernsthaftigkeit unserer Lage bewusst. Mit einem Clipstick wäre ich nun gut beraten, doch den haben wir Greenhorns genauso wenig dabei wie einen Handbohrer. Mehrere Male versuche ich erfolglos das Gap zum nächsten Bolt in Freikletterei zu überwinden. Danach werfe ich ca. 100 Mal mit einer verlängerten Reepschnur nach der Knolle des nächsten Bohrhakens, ebenfalls erfolglos. Nun heißt es zum letzten Stand zurückzuklettern und Hilfe anzufordern, denn unsere Kräfte sind aufgrund der Backofentemperaturen beinahe aufgebraucht und würden für einen Rückzug durch Abklettern entlang der Überhänge einfach nicht mehr reichen. Über Pauls Handy wählen wir zuerst die Notrufnummer 112, wo aber nur italienisch gesprochen wird und wir uns nicht verständigen können. Danach informieren wir meine Eltern, die sofort Hans Jantscher von der Mixnitzer Bergrettung verständigen. Zusätzlich informiert Paul seine Freundin Martina, doch beendet der leer gewordene Akku dieses Gespräch. Nun sind wir sprichwörtlich von der Außenwelt abgeschnitten.

Doch wie erhofft werden von der Steiermark und von Kärnten aus parallel Rettungsmaßnahmen in die Wege geleitet. Nach ca. einer Stunde erscheint auch schon ein Hubschrauber der uns umfliegt um die Lage zu sondieren. Gut so - wir werden am Leben bleiben, wir sind bemerkt worden. Doch mit dem Abdrehen des Hubschraubers in den letzten Sonnenstrahlen ist es klar, dass erst am nächsten Tag die ersehnte Hilfe nahen wird. Die Nacht im Hängestand gestaltet sich als durchwegs anstrengend. Um der Monotonie des Hängens zu entgehen steige ich regelmäßig die Sprossen der Strickleiter auf und ab. Paul hingegen hat ein etwas gemütlicheres Plätzchen gefunden, wo der überwiegende Teil seines Hinterns Platz findet.Am Vormittag des nächsten Tages, wir schreiben Montag den 19.07.2004, versuchen die Retter entlang der Überhänge, die sich direkt über uns befinden, zu uns abzuseilen. Doch würden sie schließlich im Leeren, zu weit von uns horizontal getrennt in der Luft hängen, was sie selbst bald bemerken und dann von diesem Vorhaben ablassen. Mit der letzten Kraft meiner verdorrten Stimme krächze ich nach oben: „You must downclimb the route to get to us". Momentan macht sich wieder schlechte Stimmung breit. Paul verspricht niemals mehr alpin zu klettern und droht bereits mehrere Male, sich auszubinden um die Wand im Stile der Basejumper hinunterzugleiten.

Es gelingt mir ihm zu versichern, dass dies gar keine gute Idee sei. Am späten Nachmittag schließlich passiert das von mir Ausgesprochene. Ein Bergretter und Mauro, ein bekannter Bigwallkletterer, klettern links des Überhanges entlang der Route zu uns ab. Ich beginne erneut mit dem Vorstieg bis zur ausgebrochenen Schuppe wo mich Mauro an der Schulter packt und zum nächsten Bohrhaken zieht. Danach ersetzt er den ausgerissenen Bohrhaken gegen einen neuen. In Windeseile erreiche ich den nächsten Stand und wenig später sichern wir Paul nach. Mit einer Seilwinde werden wir schließlich zum Ausstieg hochgehievt wo bereits ein Hubschrauber wartet, der uns zurück ins heißersehnte Sarcatal bringt. Danach werden wir unfreiwillig Stars im lokalen Trentiner Fernsehen und treten in der bereits anbrechenden Nacht die lange Heimfahrt nach Kärnten an.

Natürlich haben sich neben unseren Angehörigen auch die vielen Freunde in unserer Firma, der Infineon Technologies, Sorgen um uns gemacht und als wir dort am Dienstag, dem 20.07.2004 eintreffen, war so manche Freudenträne nicht zu übersehen. Abgesehen davon, dass unser Image der Unverletzbarkeit etwas gelitten hat, nahm das weitere Leben seinen gewohnten Lauf. Paul und ich kletterten weiter, Ingrid hat mir verziehen und im darauffolgenden Herbst bewältigten wir ohne großes Aufsehen die Salathe. Was ich aber bis heute nicht vergessen habe sind die strahlenden Gesichter der Trentiner Bergrettungsmänner, die nach unserer erfolgreichen Bergung wohl so manches Glas Rotwein leerten. Wie oft müssen sie sich in den Jahren zuvor vor einer Bergungsaktion aus der überhängenden Wand der Via Vertigine gefürchtet haben. Aktuell, in Zeiten, wo Regierungen die Ängste der Menschen schüren, mit Emotionen spielen und das Trennende vor das Einigende stellen, erscheint mir unsere Rettung aus der Wand des Monte Brento umso mehr als ein Akt der Menschlichkeit und zeigt uns was wir wirklich sind aber immer mehr gezwungen werden zu vergessen: Menschen!

Text: Robert Zink

Fotos: Robert Zink, Paul Ganitzer

Gewitter , Foto: Robert Zink
Beginn-oberer-Wandteil , Foto: Paul Ganitzer
Zweites Dach , Foto: Paul Ganitzer
Robert Zink im Biwak , Foto: Paul Ganitzer
Paul Ganitzer im Biwak . Foto: Robert Zink
Die Rettung , Foto: Archiv Robert Zink

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