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8 Minuten Lesezeit (1535 Wörter)

Rolling Stones

Rolling Stones

Jedem, der zum Klettern im Grazer Bergland unterwegs ist, ist der Kugelstein ein Begriff. Und mit ihm seine Basis. In direkter Nähe zur Autobahn gelegen. Laut, dreckig, brüchig. So die volkstümliche Meinung. Unwillkürlich denkt man dabei an Majestix, der Angst hat, daß ihm der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Nur sind es hier Tonnen an Gestein die sich in unregelmäßigen Abständen der Erdanziehungskraft ergeben und ihren Weg nach unten antreten. Zum Glück ist dort noch nie jemandem etwas auf den Kopf gefallen.

Dass die Basis in der Geschichte des Sportkletterns im Grazer Bergland ein gar nicht so kleines Wörtchen mitgeredet hat und dass die Kletterei dort weitaus besser ist als ihr Ruf, möchte ich euch im Folgenden erzählen.

1970. Franz Horich erschließt mit Gefährten die Ostwand am Kugelstein. Ganz unten, am Fuße der Ostwand, hatte es Jahre zuvor Probesprengungen des gegenüberliegenden Zementwerks gegeben und Franz nimmt sich den dabei entstandenen Diagonalriss zunutze um in den oberen, unberührten, Bereich zu gelangen. Heraus kommt die "Ostwand", eine halb in technischer, halb in freier Kletterei zu bewältigende 5 Seillängenroute. Im oberen Teil brutal ausgesetzt, an verdonesquen Tropflöchern, bietet sie eine der, meiner Meinung nach, am meisten zu Unrecht vernachlässigten Routen des Grazer Berglandes.

Im selben Jahr quert wiederum Franz Horich mit dem späteren Everestbezwinger Robert Schauer von rechts her in diesen Wandteil und eröffnet den Superklassiker „Z".

6 jahre nach der Erstbegehung der Ostwand umgeht der 16 jährige Grazer Thomas Hrovat den Diagonalriss auf einer senkrecht nach oben, zum ersten Stand führenden, technischen, Variante. Der direkte Einstieg zur Ostwand.

Von Sportklettern ist noch weit und breit nichts in Sicht.

Das ändert sich erst 1978 als Thomas Hrovat, gemeinsam mit Heli Gausterer, die Schuppe rechts des Ostwandeinstieges einbohrt. Drei 6mm Stifte, 2 cm tief (ohne Spreizkonus!) in den Fels geschlagen, sichern das „LSD" ab. Die 2. Route im siebten Grad des Grazer Berglandes nach dem Narrenriss am Ratengrat ist damit erschlossen. Schon beim Einbohren fällt den Beiden auf, dass die scheinbar mauerglatte Platte rechterhand gar nicht sooo glatt zu sein scheint wie vermutet. Die waagrechten Normleisten in der beinahe weißen, leicht überhängenden, Platte, sind von unten nicht zu sehen. Bald ziehen auch hier zwei Neurouten nach oben. Der Müllschluckerweg (7+/8-) vom Kapfenberger Heli Paier erstmals Rotpunkt geklettert und links davon der „Superschlucker" (8-/8) der auf das Neutourenkonto von Thomas Hrovat geht. Heute wird der „Superschlucker" im Normalfall über den rechten Ausstieg geklettert. Ein weiter Zug, von einer der dort so typischen Normleiste, nach rechts bringt die Begeher zum Stand des Müllschluckers. Die Freude über eine 8-/8 jedoch ist verfrüht. Thomas kletterte bei der Erstbegehung nämlich nicht nach rechts, sondern direkt weiter zum Ring in der Ostwand. Erst diese Gleichgewichtsstelle machte den ausgeworfenen Grad wirklich aus. Abwertungstendenzen werden hier kategorisch ausgeschlossen. Auch heute ist es immer noch eine grundsolide 7a.

Thomas aber hatte in der leicht überhängenden Wandflucht noch etwas ganz anderes geplant und nimmt sich seinen direkten Ostwandeinstieg zur Brust. Eine Bohrhakenleiter bei der kein Mensch bis dahin an die Möglichkeit eines freien Durchstiegs dachte. Thomas kann seine Vision in die Tat umsetzen und die Route tatsächlich in freier Kletterei durchsteigen. Jetzt benötigt er nur noch einen coolen Namen. Da kommt ihm sein Kater „Graf Humphrey von Ubijubi" gerade recht. „Ubijubi" ist eine der ersten Routen im unteren 9. Grad des Grazer Berglandes. Im Nachhinein betrachtet war es damals wohl noch schwerer. Wenn man nämlich auf der Originalvariante klettert, ist es bestimmt berechtigt eine 7c auszurufen. Thomas kletterte nach dem 4. Bolt nicht bis zum Schüttelpunkt in der jetzigen „Austria Draht" nach links sondern bog gleich mittels eines schwer zum „Beissen" zu bringenden Untergriffes wieder nach oben ab. Das ist auch die Passage mit dem größten Hakenabstand in der Route. Ich war immer heilfroh wenn ich das Seil in den nächsten Bolt klippte. Das Zweite Erschwernis kommt kurz danach. Hier macht die Originalroute einen leichten Rechtsschwenk wobei sich erst später herausstellte, dass es direkt hoch leichter ist. Heutzutage wird praktisch nur mehr die leichtere Version geklettert. 9-(7b+) ist dafür eine korrekte Bewertung.

Thomas legt nach. Die benachbarte „Hrdlicka" 7c ist zum Zeitpunkt der Erstbegehung eine der allerschwersten Routen im Grazer Bergland und kann mit den, in der Alpinpresse hochgejubelten, deutschen Toprouten mithalten. In die gleiche Erschließungsphase fällt dann auch noch „French Connection". Sie zieht vom Ende des „Dornröschens", einer Einstiegsvariante zur Ostwand, direkt nach oben. Zugegeben der Schlüsselzug – ein Longreach in ein Untergriffloch, spielte Thomas aufgrund seiner Größe in die Karten aber warum er danach gleich einen Horrorhakenabstand einbauen musste, wusste wohl nur er selbst. Der Abstand wurde später durch einen zusätzlichen Bolt ein wenig entschärft. Psychisch anspruchsvoll ist die Route immer noch und eine 7b über die ich mich richtig freute. Nicht vergessen möchte ich hier Robert Schauer der mit „Cäsium"(6+) ganz links einen richtigen Klassiker eröffnete.

Zwei Jahre später schließt Thomas seine Erschließertätigkeit am Kugelstein mit „Insekt Infekt" ab. Old school, an Mikroleisten zwischen Ubijubi und French Connection. Die Route ist superschwer und hat bisher nur eine Handvoll Begehungen bekommen. Die vermutlich letzte vor 4 oder 5 Jahren von Bernd Schlögl. Bernd hatte in der Schlüsselsequenz einen Griff weit rechts benutzt der üblicherweise von Begehern der French Connection verwendet wird. 7c+ lautet seine Meinung über diese Variante. Direkt geklettert, so sagt er, könnte es durchaus 8a sein.

Nachdem alle dachten die Basis ist erschlossen, taucht plötzlich ein junger Judendorfer namens Gerhard Lanz am Kugelstein auf. Innerhalb kurzer Zeit bohrt er vier weitere Linien ein. Austria Draht (8+), Pineculata (9-/9), Österzola (8-/8) und die erste Seillänge des weißen Streifens. (8-). Bei Austria Draht unterläuft ihm allerdings ein folgenschwerer Fehler. Nach dem Einbohren nämlich, lädt er Much Matlschwaiger zum mitprobieren ein. Sein Pech ist, dass Much die Route kurzerhand flasht und sich so die erste Begehung unter den Nagel reisst. Dieser Fehler passiert ihm kein zweites Mal und er holt sich die ersten Rotpunktbegehungen seiner anderen Werke. Österzola endete ursprünglich bei der Umlenkung des LSD. Gerhard selbst verlängert es später bis zum Stand von French Connection. Der Schwierigkeitsgrad jedoch bleibt derselbe (8-/8). Mit Karli Sudi aus Graz fügt er dem weißen Streifen gleich noch weitere 3 Seillängen hinzu. (8). Der gesamte weiße Streifen wird heutzutage leider kaum wiederholt. Die erste Seillänge hingegen ist ein Klassiker geworden. Gerhard verschwindet kurz darauf aus der Sportkletterszene und wird einer der ersten Snowboardprofis.

Mitte bis Ende der achtziger Jahre wurde an der Basis viel geklettert. Die Routen blieben lange Zeit trocken und nach Schlechtwetterperioden konnte man dort am ehesten noch trockene Bedingungen vorfinden. Bei schwülheißem Sommerwetter verwandeln sich die Griffe allerdings in elende Schmierer und es geht gar nichts mehr. Die Anreise kann man sich dann getrost ersparen.

Zu dieser Zeit tauchte auch ein Pärchen häufig am Fels auf. Peter Ogrin aus Aflenz und seine amerikanische Freundin Gea Franklin. Während Peter Insekt Infekt projektierte, holte sich Gea die erste Damenbegehung von Ubijubi. Es war dies das erste Mal im Grazer Bergland, dass eine Frau den neunten Grad kletterte. Ein paar Jahre später machte es ihr Karin Kavussi aus Leoben nach. Karin kletterte auch French Connection. Sie hatte aufgrund ihrer Größe bei der Originalvariante keine Chance und fand notgedrungen eine neue Lösung. Für Kleinere ist die Route anschließend auf 9- aufgewertet worden. Gea ging später wieder nach Amerika zurück. Berühmt wurde sie in Silvester Stallones Film „Cliffhanger" bei dem sie den Todessturz ganz zu Beginn als Stuntfrau durchführte.

Als letzte Route an der Basis kommt Ende der achtziger Jahre der „Autobahnrudi" links der „Hrdlitschka" vom Grazer Michi Nedetzky dazu. Mit dreißig, technisch ungemein anspruchsvollen Metern ist sie die längste Route dort und mit 9 auch eine der schwersten. Michi wurde 1985 als Fünfzehnjähriger mit einer Begehung von French Connection anlässlich eines, von Robert Schauer initiierten, Kletterfestivals bekannt. Diese Begehung war damals sogar der Kronenzeitung einen kleinen Absatz wert.

Das Ende:

Eines schönen Sommertages 1997 plante der Grazer Bergführer Bernd Robanser einen Klettertag an der Kugelsteinbasis ein. Auf der Fahrt nach Peggau überlegte er sich mit seinem Kletterpartner aus unerklärlichen Gründen jedoch anders und sie fuhren nach Mixnitz weiter, um in der Arena zu klettern. Bei der Heimfahrt sahen sie, dass diese glückliche Eingebung ihnen wohl das Leben gerettet hatte. Der Abschlussüberhang von Austria Draht und Ubijubi war anlässlich eines gewaltigen Felssturzes in der Ostwand am frühen Nachmittag zu Boden gekracht. Bernd konnte bei einem sofortigen Lokalaugenschein die Umlenkungen klippen ohne auch nur einen Zentimeter geklettert zu sein. Nicht auszudenken wenn die beiden zum Zeitpunkt des Unglückes darunter gestanden, oder dort sogar geklettert wären.

Dieses Ereignis besiegelte das Ende der Basis als Sportkletterziel. Zwar wurden neue Umlenkungen gebohrt aber die Routen wurden nur mehr sehr spärlich besucht. Die, wie ein Damoklesschwert über den Routen hängende, verbliebene Schuppe ist schwer einzuschätzen. Ich persönlich denke nicht, dass sie runterkommen wird. Allerdings hätte ich auch nie geglaubt, dass die erste Seillänge vom „Z" eines Tages am Boden liegen wird. So passiert nach langen Regenfällen vor zehn Jahren. Um 17 Uhr Ortszeit begann sich alles dort zu bewegen und wie in einem Katastrophenfilm aus Hollywood rutschten Tonnen von Gestein entlang einer hinterspülten Trennfläche nach unten.

Die Routen an der Basis sind wirklich Klasse aber das Risiko dort zu klettern ist nun einmal vorhanden und es muss jeder für selbst entscheiden ob er es eingehen möchte oder nicht. Ich für meinen Teil denke, dass ich dort noch einiges vorhabe…

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