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5 Minuten Lesezeit (915 Wörter)

The climbers Inn

drew-coffman-1876-unsplash (c) drew coffman

Kürzlich läutete abends mein Handy. Auf dem Display erschien eine mir unbekannte Nummer. Neugierig wie ich nun einmal bin, nahm ich den Anruf entgegen. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine männliche Stimme, die sich als neuer Tourismusmanager der Region vorstellte. Er arbeite an einer großen Sache, ließ er mich wissen und würde diese gerne mit mir besprechen.

„Mit mir?"

„Ja, sie wurden mir empfohlen"

Ich war überrascht. „Von wem denn?"

„Das tut nichts zur Sache. Jedenfalls bin ich.., sind wir überzeugt davon, dass sie der richtige Ansprechpartner in dieser Agenda sind." Der Mann drückte sich gewählt aus.

„Ich bin abends immer lange im Büro" sagte er. „Für Politiker ist Freizeit ja ein Fremdwort. Eigentlich könnten sie jederzeit zu mir aufs Amt kommen"

Im Fernsehen kassierte Hoffenheim gerade das 0:3 gegen Liverpool. Die Partie war gelaufen.

„Jetzt gleich?" fragte ich.

„Selbstverständlich!. Ich freue mich!

Keine zehn Minuten später klopfte ich an die Bürotür des Tourismusverbandes. Ein agil wirkender Mann in den Vierzigern öffnete. Salopp gekleidet in Jeans und einem kurzärmeligen, karierten Hemd eines namhaften Bergsportausrüsters. Er begrüßte mich mit einem kräftigen Handschlag und duzte mich. Unter Bergsteigern ist das so üblich.

„Ich habe deine Geschichte gelesen" sagte er „in dieser Kletterzeitung. Köstlich kann ich da nur sagen".

Er bot mir einen Stuhl vor seinem Schreibtisch an.

„Die Leute wissen ja gar nicht welchen Schatz wir hier bei uns besitzen. Die Berge. Die Felsen. Ein Paradies!"

Was hatte der Typ bloß vor?

„Also" begann er sein Vorhaben zu erklären, nachdem er mir ein kühles Getränk aus dem Kühlschrank angeboten hatte.

„Ich war diesen Frühling am Gardasee. Mit meiner Frau. Wandern und Biken. Was die da in Arco auf die Beine gestellt haben – Alle Achtung kann ich da nur sagen. Arco kennst du doch bestens oder?"

„Natürlich" beeilte ich mich zu sagen. „Ich war erst vor kurzem dort."

„Fein. Dann sprechen wir dieselbe Sprache."

Er lehnte sich genüsslich zurück um nach kurzer Pause fortzufahren. „Und genauso etwas machen wir hier auch. Wir nutzen das Geschenk der Natur und bauen die Infrastruktur dazu. Wir werden zu einem steirischen Arco!"

Er drehte den Monitor seines Computers auf meine Seite. Ich erkannte eine Landkarte mit einer Vielzahl bunter Rechtecke. „Parkplatz" konnte ich lesen. „Campingplatz", „Gelateria" und am Ende der Straße stand „Climbers Inn".

„Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben", grinste er. „Alles spricht dafür. Die Nächtigungszahlen werden explodieren. Jeder, der bei dem Projekt mitmacht, wird davon profitieren. Egal ob Gastwirt, Sportgeschäft oder Campingplatzbetreiber. Wir werden der steirische Nabel der Kletterwelt."

„Sportgeschäft? Wir haben hier doch gar keines."

„Noch nicht. Aber ich denke da an so drei bis fünf Shops. Du weißt ja: Konkurrenz belebt das Geschäft. In Arco haben sie dreizehn davon. Und übrigens auch nicht mehr Einwohner als wir".

Mir schien das wirklich sehr weit hergeholt.

„Aus der Jausenstation hier machen wir eine riesige Pizzeria. – Climbers Inn. Und hier kommt der neue Campingplatz" Er zeigte mit dem Finger auf die Stelle am Monitor. „Caravans" stand hier zu lesen und dahinter sah ich eine ganze Reihe von Bungalows.

„Ist das hier nicht ein Wasserschutzgebiet?" wagte ich zu bemerken.

„Nicht mehr" grinste der Politiker. „Alles schon erledigt".

„Aber – weshalb ich dich hergebeten habe. Wir brauchen einen Profi aus der Kletterszene. Einen, der jeden Winkel hier kennt. Schließlich müssen wir neue Wege zu den Felsen anlegen. Barrierefrei und familientauglich. Mit Beschilderung, damit sich wirklich jeder zurechtfinden kann. Ich denke da an zumindest dreisprachige Tafeln. Der Kletterführer wird jetzt übrigens neu aufgelegt. Sogar Fünfsprachig! Und weltweit vertrieben."

Mir blieb die Spucke weg.

Meinem Gegenüber blieb meine Verblüffung nicht verborgen.

„Speziell an den Kletterrouten müssen wir noch einiges verbessern", sagte er. „Die sind ja noch viel zu gefährlich. Da muss mindestens die doppelte Anzahl an Bohrhaken hinzukommen. Was wäre das für eine Werbung, wenn sich da vielleicht noch jemand verletzt? Das kann doch kein Mensch brauchen. Klettern soll ja Spaß machen. Fun, verstehst du?"

Ich verstand.

Als er mir schließlich erklärte, wo der neue „Ninja Warrior" Klettersteig hinkommen sollte, wurde mir beinahe schwarz vor Augen. Er würde genau über den Zeitgeist führen.

„Das geht gar nicht!" protestierte ich. Hier geht der Zeitgeist hoch. Die erste 8a Österreichs. Ein Ultraklassiker!"

„Tja. Der hat wohl Pech gehabt. Aber schau dir nur die tolle Location an. Der kurze Zustieg. Den staubigen Platz darunter werden wir schön eben planieren und mit weißem Kies belegen. Für Kinder lassen wir uns auch noch etwas einfallen. Optimaler kann es für den schwierigsten Klettersteig der Welt nun wirklich nicht sein. Hier kommt übrigens das Toilettenhäuschen hin. Er wies auf eine Stelle direkt unter der Route Ultracool. "Also - bei aller Liebe zu deinem Zeitdingsbums. Darauf können wir keine Rücksicht nehmen. Das verstehst du doch sicher".

Allmählich begann ich so einiges hier zu verstehen".

„Wir zaubern hier das Paradies für Kletterer", bemühte er sich zu versichern, nachdem er meinen skeptischen Gesichtsausdruck entdeckte. „Wirst du dabei sein? Können wir mit dir rechnen?"

Ich erbat mir Bedenkzeit.

Mein neugewonnener Freund geleitete mich zur Tür.

„Eine Bitte noch" sagte er zum Abschied. „Alles was ich dir hier erzählt habe ist strengstens vertraulich. Kein Wort zu den einheimischen Kletterern! Die sind ja prinzipiell gegen alles was Fortschritt bedeutet. Denen kann man nicht trauen. Zum Schluss machen die noch einen Sitzstreik oder eine andere Blödheit. Ich kenne diese Typen!"


Anmerkung des Autors:

Viele Kletterer und Erschließer wünschen sich in ihrem Heimgebiet mehr Unterstützung durch Tourismusverbände und Co. Mit meiner Geschichte möchte ich nur zum Nachdenken anregen. Der Schuss könnte nämlich auch nach hinten losgehen.

Das Gespräch hat übrigens in Wahrheit nie stattgefunden.

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Kommentare 6

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Harry Hofer

am Sonntag, 22. Oktober 2017 10:40

Zum Glück nur ein Albtraum!

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Zum Glück nur ein Albtraum!

Horst Jobstraibitzer

am Sonntag, 22. Oktober 2017 11:03

Ja hoffentlich bleibt es auch einer und wird bei uns Zuhause niemals Realität.

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Ja hoffentlich bleibt es auch einer und wird bei uns Zuhause niemals Realität.

Irmgard Braun

am Sonntag, 22. Oktober 2017 10:42

Super Geschichte, die nur zu bald wahr werden könnte. Wobei fast alle Kletterer gerne nach Arco gehen ... Tja, das macht schon nachdenklich.

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Super Geschichte, die nur zu bald wahr werden könnte. Wobei fast alle Kletterer gerne nach Arco gehen ... Tja, das macht schon nachdenklich.

Horst Jobstraibitzer

am Sonntag, 22. Oktober 2017 11:01

Liebe Irmgard. Genau dieses Thema beschäftigt mich schon ne ganze Weile. Ich bin ja ein bekennender Arco Fan (und Arco-Konsument wenn man so will). Dort genieße ich all die Annehmlichkeiten wirklich sehr und es sind immer wunderschöne Urlaube. Und wenn so ein Szenario im heimischen Klettergebiet ein Thema werden könnte, legt man sich quer und versucht es mit allen Mitteln zu verhindern. Schon seltsam wie die Blickwinkel sind aus denen man die Dinge betrachtet.

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Liebe Irmgard. Genau dieses Thema beschäftigt mich schon ne ganze Weile. Ich bin ja ein bekennender Arco Fan (und Arco-Konsument wenn man so will). Dort genieße ich all die Annehmlichkeiten wirklich sehr und es sind immer wunderschöne Urlaube. Und wenn so ein Szenario im heimischen Klettergebiet ein Thema werden könnte, legt man sich quer und versucht es mit allen Mitteln zu verhindern. Schon seltsam wie die Blickwinkel sind aus denen man die Dinge betrachtet.

Rob Harbert

am Sonntag, 10. Februar 2019 10:56

Für so ein Zentrum würde sich die Badlwand super eignen. ???

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Für so ein Zentrum würde sich die Badlwand super eignen. ???

Richard Ruisz

am Sonntag, 03. März 2024 16:15

Also für einen gepflegten Espresso und ein IPA bin ich immer zu haben, das vermisse ich am meisten in Österreich.

Arco ist sehr speziell und für Helma und mich fast schon eine zweite Heimat.

Aber es fällt auf, dass die Locals unheimlich viele Routen im Etschtal und den "kleinen Dolomiten" erschließen wo sich nur ganz selten ein Deutscher oder Österreicher hin verwirrt. Dabei ist der Fels rund um Arco eindeutig besser.
Offenbar haben die Italiener Sehnsucht nach Gebieten ohne Touristen.

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Also für einen gepflegten Espresso und ein IPA bin ich immer zu haben, das vermisse ich am meisten in Österreich. Arco ist sehr speziell und für Helma und mich fast schon eine zweite Heimat. Aber es fällt auf, dass die Locals unheimlich viele Routen im Etschtal und den "kleinen Dolomiten" erschließen wo sich nur ganz selten ein Deutscher oder Österreicher hin verwirrt. Dabei ist der Fels rund um Arco eindeutig besser. Offenbar haben die Italiener Sehnsucht nach Gebieten ohne Touristen.