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3 Minuten Lesezeit (553 Wörter)

"Vive la France"

Ich bin gerade Zuhause beim Garteln, als mir ein kühler Windstoß durch die Haare fährt. Wind! Ich liebe Wind! Und gerade jetzt erinnert er mich wieder an einen ganz speziellen Moment an der Kante der Verdonschlucht. Mehr als dreißig Jahre ist es nun her, dass ich diesen Augenblick am Belvedere de la Carelle genieße. Es riecht nach Lavendel, nach Freiheit und Abenteuer und dazu dieser thermische Wind aus der Schlucht der mich über die Jahre immer wieder an diese Eindrücke erinnert. Ich wär jetzt gerne dort und grinse vor mich hin, als die Erinnerungen an damals in einer Deutlichkeit in mir auftauchen als wäre es gestern erst gewesen.

Es ist Mitte der Achtziger Jahre. Die Kletterwelt ist im Umbruch. Dessen Nabel befindet sich nun nicht mehr im Yosemite Valley sondern im Süden Frankreichs. Teils in der Verdonschlucht, mehr noch aber bei einem kleinen Dorf am Rande des Luberon.

Buoux!

Mit „Reve de Papillon" gelingt dem fünfzehnjährigen Marc Lemenestrel 1985 dort zwar nicht die erste, bestimmt aber die bekannteste 8a Frankreichs. Ein Jahr darauf geht es Schlag auf Schlag. Marc und sein Bruder Antoine erschließen mit Jibe Tribout,den ganz rechts am Massiv gelegenen, Sektor „Au bout du monde". Innerhalb kurzer Zeit reihen sich hier einige der schwierigsten Kletterrouten der Welt aneinander. Choucas, La Rose et le Vampir, Tabou Zizi, La Rage de Vivre.

Die besten Kletterer der Welt (mit Ausnahme Wolfgang Güllich`s) stammen aus Frankreich. Der Schönste – "Le Blond" Patrick Edlinger sowieso. Und niemand kann sich vorstellen, dass sich daran etwas ändern könnte.

Die Änderung kommt jedoch verblüffend rasch in Form zweier arbeits- und mittelloser Underdogs aus Sheffield. Jerry Moffat hält sich ohnehin (unbeeindruckt von den Ereignissen in Frankreich) für den Besten und sein Kumpel Ben Moon steht ihm um nichts nach. Die beiden reisen also per Autostopp nach Buoux und wiederholen die französischen Toprouten in Nullkommanix. Anschließend macht sich Ben Moon ans Werk die Krone der Sportkletterei nach Britannien zu holen. Mit „Azincourt" in Buoux und „Maginot Line" im, eine Autostunde entfernt gelegenen, Überhang von Volx, erstbegeht er die ersten 8c`s in Frankreich und um die Franzmänner zusätzlich zu demütigen, verpasst er seinen Routen auch noch geschichtsträchtige Namen. Beide stehen für Schlachten in denen eine mutige, gegnerische Unterzahl über eine französische Übermacht triumphierten.

Frankreich aber steht wieder auf. Jibe Tribout beschert Amerika in den Smith Rocks die schwersten Routen der USA. „To bolt or not to be" und „Just do it".

Francois Legrand wird der, mit Abstand, beste Wettkampfkletterer der neunziger Jahre und der charismatischte obendrein.

Alles wäre so schön gewesen aber ein jugendlicher Beach Boy aus Kalifornien macht alles wieder zunichte. Wieder ist es ein Ausländer der sich die härteste Route Frankreichs (und der Welt) unter den Nagel reißt. Chris Sharma schnappt sich ein altes Projekt von Jean Christophe Lafaille, noch bevor die einheimische Elite eingreifen kann und klettert „Biographie".

Ich bin sicher Frankreich schlägt eines Tages zurück und alles wird gut.

Alles wird gut. Egal wie die Wahlen heute ausfallen werden. Egal ob wir wieder mit den guten alten Francs bezahlen werden wenn wir bei Ventimiglia über die Grenze fahren, oder mit Euronen.

Die Felsen werden noch bis in alle Ewigkeiten dort stehen und es wird Baguettes, Käse und Rotwein geben. Frankreich wird noch unendlich viele Träume für uns Kletterer bereithalten und ich bin von ganzem Herzen überzeugt, dass ich eines Tages wieder diesen Wind in den Haaren spüren werde. Oben am Schluchtrand des Verdons.

Ort (Karte)

 

Kommentare 1

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Michael Gattol

am Sonntag, 07. Mai 2017 14:53

danke Horst, wieder ein sehr sehr feiner geschichtlicher kletterausflug
wie du das geschichtlich immer so abrufen kannst is der hammer - ein wahrer zeitzeuge

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danke Horst, wieder ein sehr sehr feiner geschichtlicher kletterausflug :) wie du das geschichtlich immer so abrufen kannst is der hammer - ein wahrer zeitzeuge ;)