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12 Minuten Lesezeit (2407 Wörter)

Michael Füchsle – Fight Gravity

20160807_125551 photo credit: Archiv Michael Füchsle
Finale; photo credit: Archiv Michael Füchsle

Michael Füchsle, Jahrgang 1966  aus Bobingen (D), war bereits seit den 1980er Jahren als Profikletterer am Fels und bei Wettkämpfen aktiv bis ihn 2003 ein Darmdurchbruch völlig aus der Bahn warf. Michael überlebte nur mit viel Glück und Lebenswillen. Es folgten 9 Jahre Pause vom Klettersport bis er sich ein Herz fasste und als Paraclimber eine zweite, sehr erfolgreiche Karriere startete. Im Frühling 2023 war es ein weiterer, gesundheitlicher Rückschlag, der auch diesen Abschnitt in Michaels Leben beendete. 

It ain´t over, till it`s over - Zum großen Erstaunen der behandelnden Ärzte begann Michael viel früher wieder zu klettern, als man es ihm je zugetraut hätte. 

Die Wettkämpfe sind zwar Geschichte aber es gibt noch jede Menge von Zielen und Träumen am Fels, die Michael mit einer riesengroßen Portion Begeisterung, Energie und Optimismus in die Zukunft blicken lassen.

CLIMBING.PLUS traf Michael in Arco.

Arco; photo credit: Archiv Michael Füchsle
Sella, (Dolomiten); photo credit: Archiv Michael Füchsle

Michael -dein Zusammenbruch am 9. April 2023 (Notarzteinsatz mit Bergung über die Feuerwehrdrehleiter aus dem Schlafzimmer auf die Intensivstation - Darmverschluss, Lungenentzündung und akutes Nierenversagen, Verletzung des Kehlkopfes und 15 kg Gewichtsverlust) hat deine sportlichen Pläne auf ziemlich unsanfte Weise durchkreuzt. Anfang des Jahres war dein Ziel für 2023 eine Route im zehnten Grad zu klettern. Das ließ sich aufgrund deiner gesundheitlichen Situation dann nicht mehr realisieren. Hast du für 2024 einen weiteren Anlauf ins Auge gefasst oder hat sich deine Zielsetzung geändert?

Ich hatte über den Winter 22/23 sehr hart trainiert und war in Sachen Maximalkraft so fit wie überhaupt noch nie, außer vielleicht in meinen jungen Jahren. Mein Ziel war es, seit meinem Darmdurchbruch 2005, noch einmal eine Route im zehnten Grad zu klettern.

Im April hat es mich dann gesundheitlich aber ganz schön erwischt und ich wäre fast an Organversagen gestorben. Seitdem bin ich klettermäßig leider nicht mehr in die Gänge gekommen.

Dann hat im Sommer ein schweres Unwetter fast mein ganzes Haus zerstört, wobei wieder Zeit mit Aufräumen und usw. verloren ging. Dazu noch die ganzen Streitereien mit der Versicherung.

Schließlich habe ich von meinem Arcoaufenthalt Anfang Oktober Corona mit nach Hause gebracht.

2023 war einfach nicht mein Jahr, aber ich bin auch glücklich darüber die ganze Sache im April überlebt zu haben.

Mein großes Ziel für heuer - eine schwere Route zu Klettern habe ich bereits im Juni heruntergestuft, denn ich möchte nicht große Sprüche klopfen und dann nichts hinbekommen. Das ist nicht mein Ding und habe auch aus meiner Jugend gelernt, wo ich so manchen Fehler begangen habe. Die Zeit wird zeigen, ob ich nochmals richtig fit werden kann. Aber ich bin ein Kämpfer, der niemals aufgibt und ich sehe immer alles sehr positiv.

Falls es für dich noch einmal ein persönliches High End Projekt gibt: Spielen ökologische Überlegungen bei der Suche nach „Deinem" Projekt eine Rolle? Vielleicht möglichst umweltschonende Anreisen mit Zug und Fahrrad? Immerhin wird so ein Projekt einiges an Aufwand bedeuten. Chris Sharma hat 60 bis 70 Tage am „Sleeping Lion" projektiert. Alex Megos war auch 60 Tage in der „Bibliographie", bis ihm der Durchstieg gelungen ist. Ein persönliches High End Projekt erfordert also richtig viel Einsatz und Zeit. Da ist es schon eine Überlegung wert, die Umwelt möglichst schonend zu behandeln. Da bist du rasch einmal ein paar Tausend Kilometer auf der Straße unterwegs.

Sicherlich mache ich mir dazu auch meine Gedanken, nur habe ich hier ein großes Problem: Wenn ich mehrere Tage unterwegs bin, habe ich eine Menge an Gepäck dabei. Das geht es los mit meiner Stomaversorgung, zusätzlich benötige ich noch eine Menge an Verbandsmaterial.

Ich muss mir jeden Tag Hintern und Bauch verbinden. Ich habe einige eitrige Anal Fisteln und das würde mit dem ganzem Klettermaterial nicht funktionieren. Deshalb bin ich auf das Auto angewiesen.

Du bist so etwas wie ein Ambassador für Paraclimbing und deine Stimme hat medial aufgrund deiner Bekanntheit großes Gewicht. Was sind deine besonderen Anliegen?

Das ist glaube ich etwas übertrieben. Klar versuche ich das Paraclimbing durch meine Posts auf Social Media oder mit Zeitungs- bzw. Fernsehberichten voranzutreiben. Mein Anliegen an alle Kletterzeitschriften oder Fernsehsender wäre, dass öfter über Paraclimbing berichtet wird.

Wir Paraclimber müssen uns nicht verstecken, denn was die Athleten an Leistung erbringen, ist schon beachtlich und bin der Meinung - auch wenn die Schwierigkeitsgrade der Routen nicht so hoch sind wie bei den gesunden Athleten ist die Leistung oft wesentlich höher einzuschätzen.

Masters in Imst; photo credit: Archiv Michael Füchsle

Du wirst von einigen namhaften Firmen gesponsert. Sind dir alle geblieben, nachdem du dich vom aktiven Wettkampfsport zurückgezogen hast?

Lach. Ja die sind mir geblieben. Im Gegenteil - es ist sogar noch ein Bekleidungssponsor hinzugekommen. Meinen Sponsoren waren die Wettkämpfe nicht so wichtig und ich glaube, allgemein können die Firmen mit den Paraclimbingwettkämpfen nicht so gut werben. Das liegt bestimmt auch daran, dass noch viel zu wenig über die Wettkämpfe in den Medien berichtet wird. Den Sponsoren ist es viel wichtiger, dass regelmäßig Posts in den Social-Media-Kanälen erscheinen. Das wird sich vielleicht ändern, wenn Paraclimbing wirklich olympisch werden sollte. Ich hatte auch einen großen Vorteil, dass ich schon vor meinem Darmdurchbruch jahrzehntelang als professioneller Kletterer unterwegs war, sonst wäre es auch für mich sehr schwer geworden, Sponsoren zu finden.

WC in Briancon (F); photo credit: Archiv Michael Füchsle

Wichtig ist, dass du ab jetzt möglichst verletzungsfrei bleibst. Du bist im Trainerstab des deutschen Paraclimbing Nationalteams (offizieller CO- Trainer). Wirst du da auch auf die medizinische Betreuung zurückgreifen können? Bekommst du dieselben Möglichkeiten wie die Athleten, wenn es einmal gröber zwickt?

Wir im Paraclimbing Team haben nicht wirklich die Möglichkeit auf medizinische Betreuung, außer auf den Wettkämpfen wo die gesunden Athleten und wir Paraclimber gemeinsam starten, wie heuer z.B. auf der WM. Hier dürfen wir die Physio und andere Betreuung mit in Anspruch nehmen.

Bist du eher ein Projektierer, der sich in ein Ziel verbeißt oder magst du es eher im on sight Stil zu klettern?

Ich mag beides, aber versuche schon mal einige Tage an einem Projekt zu verbringen. In Arco habe ich z.B. eines da bin ich schon mehrere Jahre dran, um es zu knacken. Bei fast jedem Aufenthalt arbeite ich 1 oder 2 Tage daran. Heuer war es sehr schwierig, im Februar war es zu nass und jetzt im Oktober noch zu heiß.

Vielleicht schaffe ich es noch, bevor ich 60 werde. Lach.

Wenn du zuhause trainierst – Boulderwand oder Griffbrett? Machst du auch Yoga oder Ausdauertraining?

Beides - Griffbrett und meistens Spraywall und nein - Yoga mache ich nicht.
Mit Ausdauertraining meinst du Joggen, oder? Nein, auch das mache ich nicht. Das würde aufgrund meiner körperlichen Einschränkungen gar nicht gehen. Auch Fahrradfahren ist nicht möglich, da mein ganzer Hintern von etlichen Operationen der Analfisteln vernarbt ist und ich beim längeren Sitzen höllische Schmerzen bekomme.

Du wirst jetzt 57. Allzu viele Kletterer wird es weltweit nicht geben, die eine 7c draufhaben und mit so einer Krankengeschichte, wie du sie hast, gibt es vermutlich gar niemanden. Kennst du jemanden in deinem Alter in Deutschland der noch einen Neuner klettern kann? Wie oft kannst du in der Woche trainieren oder Klettern? Erholung und Regeneration spielt ja auch eine große Rolle. Trainierst du da konsequent nach einem strikten, periodisierten Plan oder bist du da, je nach Lust und Laune, flexibel?

Ja, ich werde jetzt im Dezember 57 Jahre.
Ich denke es gibt noch viele Kletterer, die in meinem Alter noch eine 8b und schwerer klettern. Das aber ohne Handicap.

Es gibt aber auch Paraclimber die 8a und schwerer klettern, aber mit solch einem Handicap wie ich es habe, wird es schon schwieriger jemanden zu finden. Nach meinem Darmdurchbruch 2005 hatte ich mir fest vorgenommen nochmals eine 8b zu Klettern. Davon bin ich schweren Herzens abgekommen, das ist für mich so gut wie unmöglich geworden da ich immer wieder mit gesundheitlichen Rückschlägen zu kämpfen habe

Ich habe erst jetzt mit meinem Training wieder richtig angefangen, aber ich tue mir schwer nach dem Rückschlag im April und mein Bauchdeckenbruch, den ich mir bereits letztes Jahr zugezogen habe, wird immer größer. Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf wenigstens nochmals eine 7c+ oder 8a zu Klettern.

Ich werde jetzt im Winter mein Training auf 4–5-mal die Woche steigern und mir einen Trainingsplan zurecht schneidern den ich konsequent einhalte. Die Ruhephasen sind, gerade wenn man älter wird, sehr wichtig. Das habe ich auch gemerkt und darum trainiere ich auch nicht mehr so lange wie früher an einem Tag, aber dafür regelmäßig.

Cafe Kraft (Nürnberg); photo credit: Archiv Michael Füchsle

Hast du dir, was deine Kletterethik betrifft, selbst Regeln gesetzt, oder wirst du alle Tricks auspacken und alle Möglichkeiten nützen und dein Projekt auch im Toprope auschecken und einen Clipstick verwenden? Vielleicht sogar, so wie es Will Bosi im „Burden of dreams" gemacht hat, eine Replika machen und die Moves zuhause an der Boulderwand nachbauen und einüben?

Nein Kletterregeln habe ich mir nicht gesetzt. Durch mein Handicap verwende ich auch einen Clipstick, wenn mir der erste Haken zu hoch oben sitzt. Ich checke auch Routen im Toprope aus und wenn mir eine Kletterroute zu gefährlich erscheint, klettere ich diese auch nur im Toprope.

Oft ist es gut, wenn man zu zweit oder sogar zu mehreren eine harte Route projektiert. Da profitiert man dann oft von den Ideen und Lösungsansätzen der anderen. Man pusht sich gegenseitig und treibt sich im freundschaftlichen Wettkampf an. Wirst du mit Kumpels dein Projekt in Angriff nehmen oder doch lieber nur mit deiner Freundin an den Felsen gehen, mit der Gefahr im eigenen Saft zu schmoren und nicht voranzukommen, weil du dich in irgendeine Lösung verrennt hast? Wer sind deine Kletter- bzw. Trainingspartner?

Früher habe ich öfters mit Gleichgesinnten an Projekten gearbeitet und wir hatten immer eine Menge Spaß dabei. Leider nehmen meine aktuellen Kletterpartner alles nicht so ernst, die haben keinen Nerv eine Route zu länger zu projektieren.

Daher bin ich allermeistens mit meinem Schatz Marion am Fels und hin und wieder auch mit ehemaligen Teamkollegen.

Bouldern im Bahratal (D); photo credit: Archiv Michael Füchsle

Wenn du eine bekannte, oft gekletterte, Route ins Auge fasst hast du immerhin gute Chancen auf Videos mit Netz zurückgreifen zu können, um zu schauen wie haben das denn die anderen gelöst.

Nein, Youtube Videos schaue ich nicht.

Auf Youtube findet man meistens nur bekannte Routen, für die ich zu schwach bin.

Und selbst, wenn ich mir Videos anschaue, würde - durch mein Handicap wäre es mir wahrscheinlich zu 99% unmöglich, diese Routen oder Boulder so zu klettern, wie die Athleten im Video.

Scheitern muss bei so einem Projekt immer irgendwo ins Kalkül gezogen werden. Wirst du einen Plan B haben, wenn es mit deinem vorrangigen Ziel nicht funktioniert?

Nein, einen Plan B habe ich mir nicht vorgenommen. Ich denke, ich muss auch niemandem mehr etwas beweisen. Ich klettere schon so lange, habe bereits in den 80ern 8a und schwerer geklettert und gehörte zu den Ersten, die vom Klettern durch Sponsoren leben konnten.

Wenn es also mit einer schweren Kletterroute nicht mehr funktionieren sollte, geht die Welt auch nicht unter.

Vielleicht versuche ich mich auch wieder einmal im alpinen Bereich. Ich möchte unbedingt im Winter mal was klettertechnisch unternehmen und mich durch den Schnee wühlen.

Sella, (Dolomiten); photo credit: Archiv Michael Füchsle

Wirst du deine Durchstiegsversuche filmen? Du bist mit deinem Traum an die Öffentlichkeit gegangen und hast dich damit auch in gewisser Weise selbst unter den Zugzwang gebracht, abliefern zu müssen. Im schlimmeren Fall kanns passieren, dass du erfolgreich bist und es wird angezweifelt. Dann brauchst du entweder einen Videobeweis oder glaubwürdige Zeugen, die das bestätigen können. Sonst geht's dir wie dem Said Belhaj mit der Action directe. Der hatte keines von beiden und seine, von ihm proklamierte, Begehung wurde nicht anerkannt. Die Kritisierer und Neider sind leider sofort zur Stelle.

Wenn es so weit ist, dass es sich bei einer Route um einen für mich bedeutenden Schwierigkeitsgrad handelt, werde ich das bestimmt in einem Video festhalten.

Angelino Zeller ist querschnittgelähmt und zweifacher Paraclimbing Weltmeister. In letzter Zeit sucht er sich vermehrt Ziele am Felsen, die steil genug sind, um sie zu hangeln und die er mit dem Rollstuhl erreichen kann. Kennst du (ausser dir) noch gehandicapte Kletterer, die gern am Felsen klettern und oft Schwierigkeiten haben geeignete Routen zu finden? Vielleicht wäre es sogar eine Idee, einen Führer zusammenzustellen, speziell für Paraclimber mit Routen, die gut erreichbar sind, sich vom Boden weg hangeln lassen usw.

Angelino ist ein Ausnahmetalent und Vorbild für viele, ich bewundere ihn für seine Leistung und treffe ihn immer wieder auf den Wettkämpfen. Zuletzt am Weißenstein im Frankenjura. Wahnsinn, was dieser Typ leistet.

Ich kenne viele Paraclimber die auch an den Felsen gehen, vielleicht wäre so ein Führer eine Idee, aber ich denke das wäre ein sehr großer Aufwand, man müsste sich ernsthaft mal Gedanken darüber machen auf was man eingehen möchte, welche Gebiete usw.aber es könnte Funktionieren.

Michael – Wo stehst du aktuell:

Vor dem Matterhorn mit Marion; photo credit: Archiv Michael Füchsle

Ich bin immer noch dabei, mich fit zu machen und das wird auch noch dauern. Ich hätte nie gedacht, dass es so langsam voran geht, aber ich will mir vielleicht selbst nicht eingestehen, dass mein gesundheitlicher Rückschlag doch größer war als gedacht. Immerhin gibt es aber doch schon erhebliche Fortschritte.

Die Ärzte haben sich gewundert, dass ich überhaupt so schnell auf den Beinen war und so schnell wieder mit dem Klettern angefangen habe.

Es ist aber doch noch eine gewisse Angst vorhanden, weil man nicht genau weiß, woher der Darmverschluss gekommen ist und ich mir denke - hoffentlich nicht von der Bandage die eng um meinen Bauch beim Klettern angelegt werden muss wegen meinem Stoma.

Diese Angst muss ich auch erst noch loswerden. So werde ich mich in den nächsten 2-3 Monaten erst einmal darauf konzentrieren, das alles wieder hinzukriegen.


Lieber Michael. Es hat mich sehr gefreut, dich in Arco endlich persönlich kennenzulernen. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute für deine Zukunft und ich freu mich bereits auf unser nächstes Tratscherl.

 

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