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4 Minuten Lesezeit (763 Wörter)

Walk this way

85024_Aerosmith2.011c6919 Fotoquelle: Rockantenne.de

Woww! Seit meinem letzten Besuch hat sich an diesem Fels ja einiges getan. Völlig geflashed stehe ich unter der löchrigen Kalkwand. Das sind ja beinahe doppelt soviele Routen wie noch vor zwei Jahren! Und damals dachte ich schon, das Massiv sei erschlossen.

Voller Begeisterung studiere ich das aktuelle Topo. Es sind nicht nur schwere Routen hinzugekommen. Immer wieder finde ich neue Routen mit moderaten Schwierigkeitsgraden. Kaum zu glauben, wenn man sich die Steilheit des Felsens ansieht. Toll.

Ich kann´s kaum erwarten eine der neuen Kreationen kennenzulernen und schlüpfe in den Gurt. Einbinden in das Seil. Partnercheck. Los geht's.

Die ersten Meter sind noch flach. Hier wurde ja kräftig geputzt. Man muss sauber antreten um nicht von den Reibungstritten zu rutschen. Bald aber steilt sich die Wand auf. Den zweiten Bolt klinke ich schon sehr wackelig aber noch habe ich einen guten Griff in der Hand. Damit ist es nun aber vorbei. Zum nächsten Bühler sieht`s ja echt glatt aus. Tritte finde ich gar keine mehr und die Griffe sind auch spärlich gesät. Und die, die ich sehe schauen nicht aus wie wenn sie richtig gut wären. Nach längerem Suchen entscheide ich mich, hoch auf Reibung anzutreten und dynamisch auf ein Loch zu ziehen, von dem ich hoffe, dass es zumindest besser ist, als es aussieht. Eine Vorgangsweise, die ich in 6b`s üblicherweise noch nicht anwenden muss. Der Zug ist für mich mit Sicherheit irreversibel. Wenn das Loch dort oben nix ist, haut´s mich runter. Der Gedanke ist nicht wirklich prickelnd. Andererseits – die Tour ist eine 6b! Das Loch muss einfach gut sein.

Gerade als ich entschlossen angreife, höre ich von unten die Stimme eines Locals, der mir schon eine ganze Weile zusieht.

„Links!"

„Du musst eine Linksschleife machen. Gerade hoch geht's nicht!"

Ich rutsche wieder runter auf meinen Reibungstritt.

„Links? Aber da ist ja die andere Tour!"

„Das schon" erklärt mir der neugewonnene Freund. „Links klettern, rechts klinken."

Aufatment strecke ich mich nach links. Hier sind ja richtig gute Henkel. Gottseidank.

Den Bolt meiner Route klinke ich nach einem Rechtsquergang auf Kniehöhe.

Aber schon stehe ich vor dem nächsten Problem. Über mir sehe ich zwei Laschen und einen Bühler. Dieser ist jedoch von anderer Bauart als jene die ich gerade geklinkt habe. Von meiner Position aus könnte ich alle drei anklettern. Und welcher gehört jetzt zu meiner Tour?

Der Local gibt mir erneut den entscheidenden Tip und leitet mich zu dem Haken der am wenigsten mein Favorit war. Hier geht's also hoch? Interessant!

„Walk this way". Plötzlich habe ich diesen Song von Aerosmith im Ohr. Er passt zur Situation und ich kriege die markante Stimme von Steven Tyler die ganze Zeit nicht mehr aus dem Kopf.

Immer wieder begegne ich Haken, die gar nicht zur Tour gehören. Ein Klinken würde mit höllischem Seilzug bestraft werden und so muss ich wohl oder übel ganz respektable Strecken zwischen den Haken zurücklegen. Zudem laufen mir gerade die Arme ordentlich zu. Die Sucherei bringt den Kletterfluss immer wieder ins Stocken und kostet viel Kraft. Und dazu die ständige Ungewissheit. Darf ich oder darf ich nicht?

Der Local unterstützt mich dankenswerter Weise immer dann, wenn ich wieder einmal nicht weiter weiß.

Die Kletterei selbst aber ist klasse und wenn es eine eigenständige Linie wäre, ohne immer wieder andere Routen zu kreuzen oder Griffe und Tritte benachbarter Routen mitzuverwenden, würde ich fünf von fünf Sternen auswerfen. So aber kommt ein schöner Kletterfluss bestenfalls beim zweiten Mal Einsteigen auf. Dann, wenn man weiß, wohin die Reise geht.

Der erste Start hingegen ist sehr holprig. Für eine 6b bin ich ungewöhnlich gepumpt und ich bin froh als ich endlich über meinem Kopf die Standkette erspähe. Endlich ist klar wo die Route verläuft und ich powere mich, schon ziemlich atemlos, nach oben.

„Walk this way"

Endlich ist´s jetzt richtiger Rockn`Roll. Schnörkellos und klar. Mit letzter Kraft klinke ich das Seil in den Umlenkkarabiner. Das war jetzt echt knapp!

Wieder am Boden angelangt, bin ich überzeugt, dass die Nacherschließung des Massivs mit den vielen neuen Routen nur bedingt ein Segen ist.

Von den klassischen, genialen, Linien ist fast nichts übriggeblieben. Ihre ursprüngliche Eigenständigkeit versinkt in einem Gewirr von Bohrhaken und kreuz und quer verlaufenden, neuen Routen.

Manchmal kann weniger doch tatsächlich mehr sein sinniere ich, während ich meine Sachen zusammenpacke und mich zu einem Felsen verziehe, der in den letzten Jahren ein wenig aus der Mode gekommen ist. Nur ein paar wenige Routen sind hier eingebohrt, obwohl doch einiges mehr möglich ist.

„Walk this way" , pfeife ich vergnügt vor mich hin während ich meinen Seilsack unter einem alten Klassiker auf den Waldboden werfe. Hier ist von Beginn an klar was die Musi spielt: nämlich klaren, schnörkellosen Rock`n Roll. 

 

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