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4 Minuten Lesezeit (701 Wörter)

Wer is denn des? Kennst du den?

337286121_6282424051808919_5629251521091621714_n photo credit: Monika Mehlmauer

Wer kennt das nicht? Mitten in der Tour wird man stutzig. Irgendwie kommt einem die soeben gekletterte Sequenz bekannt vor und als die Hand intuitiv nach einem versteckten, nicht sichtbaren, Griff schnappt wird einem allmählich klar – man ist die Route schon einmal geklettert und hat es schlichtweg vergessen.

Vergessen, verdrängt – wie kann den sowas passieren? Das war doch früher nicht so!

Dummerweise passiert das nicht nur bei Kletterrouten, sondern auch in Arco, mitten in der Via Segantini. Plötzlich wird man angesprochen. Mit einer Herzlichkeit und Vertrautheit, die nahelegt, dass man sein Gegenüber bestens kennen müsste. Das Gegenteil aber ist der Fall – man hat keine Ahnung und versucht irgendwie aus der Nummer rauszukommen ohne dass es allzu peinlich wird. Manchmal gelingt es und man kommt dahinter, mit wem man sich gerade auf´s Allerbeste unterhält und das Ganze löst sich in Wohlgefallen auf. Manchmal bleibt man auch ideenlos zurück und sinniert den ganzen Tag darüber nach, wer das jetzt wohl gewesen sein könnte.

Zum Glück geht es nicht nur mir so.

Vor kurzem war ich bei einem Multimedia Vortrag von Michael Maili und Mich Kemeter. Zwei absolute Stars in der Alpinistenszene und wie erwartet kamen jede Menge Freunde und Bergbegeisterte aus der Region und aus allen Altersschichten zu diesem Abend. Für mich persönlich war es ein wunderschönes Veteranentreffen. Die Sache hatte nur einen Haken. Die meisten hatten allergrößte Mühe sich an den Namen ihres Gegenübers zu erinnern. Irgendwie kamen wir einander alle bekannt vor. Wir wussten sogar, dass wir den einen oder anderen lässigen Klettertag miteinander verbracht haben aber der Name fiel uns partout nicht ein. Manchmal nutzte alles nichts und man musste sich der Peinlichkeit hingeben, zuzugeben dass man gerade absolut nicht wusste mit wem man sich gerade unterhielt und man fragte schamerrötet um den Namen. Wenn man Glück hatte, erging es dem Gesprächspartner genauso und die Situation löste sich in überschwängliche Wiedersehensfreude auf.

Ist es ein Zeichen des Alters, dass man vergesslich wird? Dabei fühlt man sich doch jung, agil und voller Tatendrang. Man geht mit den young guns in die Boulderhalle und reißt an, als gäbe es kein Morgen. (Den Morgen gibt es allerdings aber den sehen die young guns zum Glück nicht. Wenn man darniederliegt und den völlig überforderten Bewegungsapparat wieder mühsam in Gang bringt).

Oder ist es in Zeiten der Smartphones einfach nur Bequemlichkeit? Bevor man nachdenkt, zückt man den ständigen Begleiter und hat in Sekundenschnelle die richtige Antwort? Haben wir das Nachdenken verlernt?

Früher sind wir mit einer Straßenkarte nach La Palud gefahren, wo ganz Frankreich auf einer A4 Seite Platz fand. Die Distanz von Monaco bis in die Verdonschlucht betrug auf der Karte exakt einen Zentimeter und trotzdem sind wir nach dreizehnstündiger Autofahrt bei Jean Paul´s Campingplatz eingebogen.

Das wäre heutzutage völlig undenkbar. Ohne Navi würden wir es höchstens noch bis nach Arco schaffen aber niemals durch die verzweigten Sträßchen der Provence.

Dasselbe Dilemma betrifft auch die Bewegungssequenzen bei meinen Projekten. Früher konnte man mich um zwei Uhr morgens aus dem Tiefschlaf holen und ich konnte die Betas von hunderten Routen auf den Millimeter beschreiben. Da wäre ich echt ein Fall für „Wetten dass" gewesen.

Und kürzlich habe ich eine Route ausgebouldert in der ich meinen Sicherungspartner ordentlich strapazierte.

„Noch einmal bitte!"

„Fünf Zentimeter ab!"

„Zug!"

Nach einer gefühlten Ewigkeit fand ich die, für mich geeigneten, Tritte mit deren Hilfe ich den entscheidenden Griff erreichte.

„Yessss!!"

Erleichtert ließ mich mein Kumpel ab und kaum berührten die Sohlen meiner Kletterpatschen den sicheren Boden, hatte ich schon wieder alles vergessen.

Bei Kletterrouten ist mir das mittlerweile ziemlich egal. Das berührt mich wenig. Ob ich da jetzt hochkomme oder nicht interessiert echt keinen Hund.

Was anderes ist es, wenn mir Namen nicht mehr einfallen. Von Bergen, von Routen, von Klettergebieten - das ist echt ärgerlich. Ich könnte es aufzeichnen, wenn ich zeichnen könnte. Ich habe es bildlich gestochen scharf vor mir aber wie es heißt, fällt mir partout nicht mehr ein.

Schlimm wird's, wenn ich in wenigen Wochen mit den Arco Boys an den nördlichen Rand des Gardasees aufbreche und einen Haufen bekannter Gesichter treffen werde, die mir zwar bekannt vorkommen aber deren Namen mir nicht um die Burg einfallen wollen.

Hoffentlich wird´s nicht allzu peinlich.

 

Kommentare 1

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Ernest Gruber

am Dienstag, 11. April 2023 18:10

Toll geschriebener Blog. Auch mein Gedächtnis lässt mich immer öfter im Stich. Aber wahrscheinlich liegt es auch daran, dass man als "Alter" schon so viele Bekanntschaften gemacht hat, dass man sich beim besten Willen nicht mehr alle Namen merken kann. Ähnlich ist es mit den vielen gekletterten Routen.
Aber was solls, da gibt es schlimmeres.

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Toll geschriebener Blog. Auch mein Gedächtnis lässt mich immer öfter im Stich. Aber wahrscheinlich liegt es auch daran, dass man als "Alter" schon so viele Bekanntschaften gemacht hat, dass man sich beim besten Willen nicht mehr alle Namen merken kann. Ähnlich ist es mit den vielen gekletterten Routen. Aber was solls, da gibt es schlimmeres.