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3 Minuten Lesezeit (694 Wörter)

Münchhausen lebt?

861px-Mnchhausen-AWille (c) Von August von Wille - Gemeinfrei

​Als ich zu mir kam, lag ich in einem Krankenwagen auf dem Weg nach Rosenheim. Mein Kumpel Martin saß mit besorgter Miene neben mir, während eine dralle Krankenschwester versuchte, mir meine persönlichen Daten zu entlocken, die sie auf einem Fragebogen einzutragen gedachte. Mir brummte der Schädel. Dunkel konnte ich mich an unseren Verkehrsunfall erinnern. Ebenso dunkel hatte ich in Erinnerung, dass ich Stunden zuvor die Umlenkung des fränkischen Weissenstein Klassikers "Strohdach" (9-) geklippt habe.

"Geil! Ich bin das "Strohdach" geklettert!"

Diese Route stand schon seit langem auf meinem Wunschzettel.

Vorsichtshalber fragte ich aber doch Martin, ob ich das "Strohdach" nun wirklich rotpunkt durchstiegen hätte. 

Er sah mich mit großen Augen an.

"Alter" sagte er, "du bist verdunstet wie ein Weltmeister".

Es ist immer gut Freunde zu haben, die die Wahrheit sagen.

Freunde sind Said Belhaj und Hannes Huch wohl nicht mehr. 

Während Said eine Begehung von "Action directe" vorgibt, beruft sich Hannes auf seine journalistische Pflicht, die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen und stellt ihm diese Leistung mangels eindeutiger Zeugen oder Videos in Abrede. Die Wogen in den Medien schlagen hoch. Stichhaltige Beweise fehlen hüben wie drüben. Dass eine Freundschaft auf so eine Art und Weise zerbricht finde ich sehr schade.

Gibt es zuhause im Grazer Bergland eigentlich auch derartige Vorkommnisse? Wurden hier auch Begehungen von Routen bekanntgegeben die in Wirklichkeit nie stattgefunden haben? Ich klettere seit 1977 und habe mich immer sehr für die Geschehnisse in meiner vertikalen Heimat interessiert. Wer hat wann und wo und was gemacht? Lange bevor für CERN das Internet erfunden wurde, gab es schon www.Horstl.net. Es gab Zeiten da wusste ich echt alles was sich so tat und ich war ein gern kontaktierter Informant in der Mixnitzer Kletterszene.

An Lügengeschichten kann ich mich nicht wirklich erinnern.

Einmal, in den frühen achtziger Jahren, gab es die Meldung über eine freie Begehung der "Nasenführe" am Röthelstein. Für die damalige Zeit hätte eine solche Leistung Weltspitze bedeutet und ich weiß gar nicht ob es bisher überhaupt jemanden gegeben hat, der die Tour frei geklettert ist. Im aktuellen Grazer Bergland Führer steht immer noch A2 für die Dachlänge .Der betreffende Kletterer ist jetzt noch aktiv und ich hüte mich davor, auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen. Ich gehe stark davon aus, dass diese Meldung damals gar nicht von ihm gekommen ist, sondern von Leuten aus seinem Umfeld.

Das Einzige, was wohl wirklich nicht der Wahrheit entsprach, habe ich als Zeuge in der Arena erlebt. Ein junger Niederösterreicher durchstieg die 8a+ Route "Hobkobold" auf superlässige Weise im ersten Versuch. Der Junge war echt unglaublich fit und ein phantastischer Kletterer. Nachdem er wieder am Boden stand, sprach er von onsight. Tage später erzählte mir ein guter Freund, dass er ihn am Wochenende zuvor bei Versuchen in ebendieser Tour gesichert hat. Derselbe Athlet gab später auch eine onsight Begehung der Route "Sandlerkönig" 8a+ an. Vielleicht hat er auch nur die Namen der Routen verwechselt. Fakt ist jedoch, dass er bei Hobkobold nicht die Wahrheit gesagt hat. Derselbe Kletterer kam auch in die alpinen Schlagzeilen als er die 2. oder 3. Begehung von "Action Directe" für sich beanspruchte. Wie bei Said ließen sich auch hier keine glaubwürdigen Zeugen finden und wie bei Said kam nie ans Tageslicht, wer ihn beim erfolgreichen Versuch gesichert hatte. Die Begehung wurde nicht anerkannt.

Ansonsten wüsste ich nicht, dass im Grazer Bergland jemals geflunkert wurde. 

Dass es kein Beweis ist für eine Lügengeschichte, nur weil der Kletterer vor und nach einem Rotpunktdurchstieg nicht einmal die Einzelzüge hinkriegt, kann ich aus eigener Erfahrung erzählen. Manchmal müht man sich vergeblich mit den Zügen in einem Projekt ab, kommt kaum von Haken zu Haken und kann sich gar nicht vorstellen hier überhaupt jemals hochzukommen und plötzlich - die Sternstunde! 

Man steigt ein. Auf einmal kann man die Griffe halten, die zuvor immer viel zu klein waren. Man reißt den Dynamo durch und plötzlich steht man völlig unerwartet vor der Chance eines Durchstieges. 

Das Adrenalin schießt in den Körper. 

Der Killerinstinkt erwacht. 

Jetzt oder nie! 

Man kämpft, beisst, zittert sich weiter, lässt Haken aus um Kraft zu sparen und erreicht nach heroischem Fight völlig platt die Kette. 

Ich hatte einige, wenige, dieser Erlebnisse und ich hütete mich jedesmal davor, danach noch einmal in die Route einzusteigen. Denn ich wusste, dass ich, wie in den erfolglosen Versuchen zuvor, keinen dieser verdammt kleinen Griffe würde halten können.



 

Kommentare 1

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Bernhard Lechner

am Montag, 06. Januar 2020 08:14

Ich muss dir teilweise widersprechen. So heilig waren die GBL-Kletterer auch nicht und es war beim Fuchswirt schon der Running Gag, dass X. heute so gut klettert wie er vor zwei Jahren behauptet hat und seine Begehungen sozusagen a posteriori bestätigt.
Ich bin deiner Meinung, dass es nix aussagt, wenn jemand die Einzelstellen nicht mehr schafft. Ich denke an "Down Syndrom". Die Schlüsselstelle bin ich ein einziges Mal in meinem Leben geklettert und den darauffolgenden Haken habe ich nie aus der Kletterposition geklinkt. Rotpunkt war es trotzdem. Ein ziemlich lautstarker...

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Ich muss dir teilweise widersprechen. So heilig waren die GBL-Kletterer auch nicht und es war beim Fuchswirt schon der Running Gag, dass X. heute so gut klettert wie er vor zwei Jahren behauptet hat und seine Begehungen sozusagen a posteriori bestätigt. Ich bin deiner Meinung, dass es nix aussagt, wenn jemand die Einzelstellen nicht mehr schafft. Ich denke an "Down Syndrom". Die Schlüsselstelle bin ich ein einziges Mal in meinem Leben geklettert und den darauffolgenden Haken habe ich nie aus der Kletterposition geklinkt. Rotpunkt war es trotzdem. Ein ziemlich lautstarker...