Skip to main content
2 Minuten Lesezeit (417 Wörter)

Zu alt? Ein Mutmacher für Senioren und solche, die es werden wollen.

„Du hast jetzt den Höhepunkt deiner Leistungsfähigkeit erreicht, super!", sagte ein freundlich lächelnder Kletterer zu mir, als ich meinen ersten Siebener im Vorstieg geschafft hatte. Damals war ich 31. Ich muss ihn wohl etwas erstaunt angeschaut haben, denn er erklärte mir, die wissenschaftlichen Erkenntnisse seien leider eindeutig. Ab 30 würde die Muskelmasse schwinden, der Fettgehalt im Körper steigen und die Koordination nachlassen. Er war gut informiert; in Wikipedia steht unter dem Stichwort „Seniorensport" etwa dasselbe. 

Ein paar Jahre nach diesem niederschmetternden Urteil trat ich beim ersten internationalen Kletterwettkampf in Deutschland an. Unter all den jungen Hupfern fühlte ich mich fehl am Platz und steinalt. Ich wurde Zweite.Danach gehörte ich zur deutschen Sportkletter-Nationalmannschaft und war bei Wettkämpfen immer die bei weitem Älteste. Mit 39 Jahren gewann ich den Stuttgarter Sportklettercup vor tausenden von Zuschauern. Der von der Wissenschaft behauptete und von mir erwartete Leistungsabbau ließ auf sich warten.

Mit 42 Jahren wurde ich Mutter, was in jenen Zeiten normalerweise das Ende aller Kletterträume bedeutete. Aber ich kletterte weiter; die modernen Sportkletterrouten im Gebirge machten mir große Freude.

Mit 50 stecken viele so drin in Beruf und Kinderchaos, dass sie zu Couchpotatoes oder Radfahrern mutieren und sich nur noch mit leiser Wehmut ans Kletterleben erinnern. Ich konzentrierte mich wieder mehr auf Kurzstrecken im Klettergarten. Von dem wissenschaftlich gesicherten köperlichen Verfall bemerkte ich immer noch nichts. Mit 53 Jahren kletterte ich am Fels bis 9+, was ich in meinen Wettkampfzeiten nie geschafft hatte.

Dann musste ich eine Weile wegen diverser Verletzungen kürzer treten, die Kletterpausen dauerten manchmal bis zu einem halben Jahr. Hatte ich zuwenig Rücksicht auf meine morschen Gelenke genommen? Oh Gott. Und dann war ich 60. Mich beschlich der entsetzliche Gedanke, bald nur noch Platten klettern zu können. Das motivierte mich, wieder härtere Routen anzugehen und darin herumzuprobieren. Vier Jahre später kratzte ich am unteren neunten Grad, ich fühlte mich bereit für mehr. Doch im Frühjahr 2017 brach ich mir kompliziert das Handgelenk. Als ich wieder zupacken durfte, konnte ich keine Pfanne mehr anheben. Und ich war immerhin 65 Jahre alt. Würde ich nun engültig zum Plaisirsoftie mutieren? 

Ein starkes Gefühl packte mich: Oh nein! Ich will wieder einen glatten Neuner klettern! Dafür nahm ich es auf mich, den Winter über zu trainieren, ja sogar Klimmzüge und die mir besonders verhassten Rückenübungen zu machen.2018 gelangen mir zwei glatte Neuner und mehrere Neunminen, aber keine 9+. Ich muss wohl zugeben, dass ich allmählich gebrechlich werde.

Foto:Mathias Weck, artvisuell.de. Danke dafür! 

Foto: Mathias Weck, artvisuell.de
 

Kommentare 1

Bereits registriert? Hier einloggen

miguel zapato

am Freitag, 10. Januar 2020 16:30

noch kein kommentar? sind wohl alle zu jung hier? oder zu träge? keine ahnung, ich finde den text auf jeden fall sehr ermutigend. es gibt ja noch andere kletterer, die schwer klettern, obwohl sie alt (etwas älter) sind, aber die waren in der regel früher noch stärker und haben ihr level nur einigermaßen gehalten. geschichten wie die von irmgard braun gibt es aber nicht viele: besser werden mit 50+ ist außergewöhnlich und zeigt mal wieder, wie toll unser sport ist.

  • 0
noch kein kommentar? sind wohl alle zu jung hier? oder zu träge? keine ahnung, ich finde den text auf jeden fall sehr ermutigend. es gibt ja noch andere kletterer, die schwer klettern, obwohl sie alt (etwas älter) sind, aber die waren in der regel früher noch stärker und haben ihr level nur einigermaßen gehalten. geschichten wie die von irmgard braun gibt es aber nicht viele: besser werden mit 50+ ist außergewöhnlich und zeigt mal wieder, wie toll unser sport ist.