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4 Minuten Lesezeit (766 Wörter)

Coming Home

IMG_1937 Bärenschütztal, photo credit: Horst Jobstraibitzer

Jeden Morgen, auf dem Weg zur Arbeit, kann ich nicht umhin, einen Blick in das Bärenschütztal zu erhaschen.

Jedesmal flasht mich der Anblick völlig. Der freistehende Turm des Nadelspitzes mit dem wuchtigen Rampenwulst dahinter. Der Burgstall auf der gegenüberliegenden Talseite. Dazwischen der V-förmige Einschnitt der Klamm und rechterhand die Wandflucht des Brunntales mit seinen dreihundert Meter hohen Abbrüchen. Oben am Grat leuchtet der Fels bereits in der Morgensonne und auch in meinem Herzen geht die Sonne auf.
Ich spüre es ganz, ganz stark. Ich bin Zuhause angekommen.
In Wahrheit aber war ich immer schon hier. Ich bin hier aufgewachsen, habe als Dreizehnjähriger hier zu klettern begonnen und den größten Teil meines Lebens hier verbracht.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht staunend in das Tal schaue. Neugierig darauf, ob es gute Verhältnisse zum Klettern gibt oder ob die Regenfälle der letzten Tage dicke, schwarze Wasserstreifen hinterlassen haben.
Ich freue mich auf die Oktobertage, wenn der Herbst das Laub bunt färbt und das Tal in den leuchtendsten Farben unter blitzblauem Himmel erstrahlt.
Ich genieße die Wintertage, wenn dicke Schneeflocken alles zudecken und man in den Wänden Konturen entdeckt, die sonst nie so sichtbar sind.
Der kalte Schnee knirscht unter meinen Schuhsohlen wenn ich mich auf den Weg in das Tal mache. Keine Menschenseele weit und breit. Die Stille wird nur unterbrochen vom leisen Gurgeln des Baches unter der Eisdecke. Während ich hinaufsteige zur Weißen Wand, klingt die Stimme von Skylar Grey in meinen Ohren. "Coming home".
Ich berühre den eiskalten Fels und freue mich auf den Frühling. Auf den Augenblick, wenn meine Lebensgeister gemeinsam mit der Natur wieder erwachen.
Ein breites, glückliches Grinsen zieht sich über mein Gesicht. Ich bin endlich Zuhause angekommen.
Die aktuelle Zeit des -nicht reisen dürfens- macht mir nichts aus. Ich habe hier alles was ich brauche. Meine Frau, meine Kinder, meine Freunde, Haus, Garten und meinen Kater Mauzbär.
In wenigen Minuten bin ich im Bärenschütztal und wenn ich doch mal ein wenig raus möchte aus meiner Blase, erreiche ich in kurzer Zeit wunderbare Berge und Felsen an denen ich mit meinen Freunden all das erleben kann, wovon ich träume.
Auf der Heimreise von diesen Ausflügen machen wir dann manchmal sogar einen kleinen Umweg, nur um den Tag mit einem gemütlichen Bier beim Hubert, dem Wirten am Eingang zum Bärenschütztal, beenden zu können.
Das war nicht immer so. Ich kann mich gut an meine Sturm und Drangzeit erinnern und an meinen sehnlichsten Wunsch, in Südfrankreich leben zu können. In La Palud am oberen Rand der Verdonschlucht. Und den ganzen Tag nichts anderes zu tun zu haben, als zu klettern.
Ich habe weit weniger von der Welt gesehen als ich mir damals erhoffte. Eigentlich ist sie für mich immer sehr klein geblieben. Sie beschränkte sich auf Europa. Ob ich jemals noch andere Kontinente bereisen werde, kann ich nicht sagen. Aus heutiger Sicht wäre ich nicht traurig, würde es nicht passieren.
Es passt mir, wie es ist und ich habe noch jede Menge Träume und Ziele die ich mir hier, direkt vor meiner Haustür erfüllen, und mit meinen Freunden erleben kann.

Überhaupt - Freunde. Es gab Zeiten, in denen ich sie vernachlässigte und in denen ich zu wenig an unseren Freundschaften arbeitete.
Sie sind mir dennoch über all die Jahre geblieben und haben mir die Treue gehalten. Das ist ein unglaublich schönes Geschenk und ich bemühe mich mittlerweile sehr, es zu pflegen so gut es mir nur möglich ist. Viele dieser Freundschaften dauern schon mehr als vier Jahrzehnte an. Ich bin unglaublich stolz und glücklich darüber und genieße jeden Moment, den ich mit diesen Jungs und Mädels zusammensein kann.
Angekommen bin ich auch beim Schreiben. Eigentlich war es immer schon da. Ich habe es immer schon in mir gespürt. Aber erst jetzt war die Zeit reif für mich. 
Ein selbst geschriebenes Buch in Händen zu halten, war ein Kindheitstraum von mir. 
Er schien unerfüllbar, unerreichbar.
Dass es eines Tages doch soweit war, lässt mich jetzt noch ungläubig staunen.
All diese Gedanken durchfluten mich, während ich den kalten Fels an der Weißen Wand berühre. Mich fröstelt und es ist an der Zeit nach Hause zu laufen.
Als ich an der verwaisten Kassiershütte der Bärenschützklamm vorbeikomme, fällt mir ein, dass es doch noch einen Ort gibt, der mir ein ähnliches Gefühl des Heimkommens vermittelt.
Meine Wurzeln väterlicherseits liegen im Fersental, kaum fünfzig Kilometer von Arco entfernt.
Ich grinse vor mich hin, als ich mich erinnere, welches Lied ich kürzlich auf den Lippen hatte, als ich bei Nago um die Kurve bog und erstmals wieder den Colodri sah. 
Vergnügt pfiff ich die Melodie von Skylar Grey's "Coming home" vor mich hin. 

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