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5 Minuten Lesezeit (1064 Wörter)

Die Geschichte meiner Klettergurte.

IMG_20200530_200829 Berglandpfeiler 1977, Archiv Horst Jobstraibitzer

Der 15. Mai 1977 brachte eine entscheidende Wende in mein dreizehnjähriges Erdendasein. Nachdem ich mit meinen Freunden jahrelang viele Stunden und Tage in den Wäldern und Höhlen rund um Mixnitz verbrachte und sogar schon stolzer Besitzer eines, am Waldboden unter dem Ratengrat, gefundenen Karabiners war, ging es endlich ans Klettern. Meiner besorgten Mutter war nicht entgangen, dass ich bei unseren Unternehmungen immer wieder heimlich ihren morschen Wäschestrick im Rucksack verstaute und meldete mich vorsichtshalber mitsamt meiner Clique bei einem eintägigen Kletterkurs des AV Mixnitz an. 

Und nun stand ich am Wandfuß des Ratengrats und der berühmte Bergsteiger Sigi W. zurrte mich an seinem Kletterseil fest. Ohne Gurt. Neidisch schielte ich zu den anderen Kletterern, die sich lässig in ihre Brustgurte einbanden. Hm...das fing ja schon mal gut an.

Der Klettertag spülte mein verborgenes Klettertalent nicht wirklich an die Oberfläche. Ausgesetzte Passagen bescherten mir die berüchtigte "Nahmaschin" und sobald es ein bisschen schwieriger wurde, rief ich "Zug!" und schon war es ganz einfach. Dieses Kommando brachte mir allerdings nicht nur einen mühelosen Höhengewinn ein, sondern auch schmerzhaftes Einschneiden des Seiles um meine Hühnerbrust.

Als ich Sigi am Gipfel die Hand schüttelte, war eines klar: Sollte ich der Bergsteigerei treu bleiben, musste ein Klettergurt her.

Zwei junge Kletterer aus Mixnitz - Mario E. und Herbi H. besaßen genau die Teile, die mir vorschwebten. Aus zehn Metern Reepschnur selbst geflochten, sah der Gurt ungemein schnittig und extrem aus. Ich überredete Herbi, mir bei der Herstellung eines solchen Gurtes zu helfen und ein paar Stunden später war auch ich stolzer Besitzer eines Brustgurtes. Er war noch breiter als der meiner Idole und erinnerte mehr an einen Nierengürtel denn an einen Klettergurt.

Damit vergingen meine ersten Jahre als Kletterer und als es erstmals richtig extrem wurde, trat die Notwendigkeit eines Sitzgurtes auf den Plan. Ich war mit meinem Kumpel Rainer W. in der Zwischenzeit fast ausschließlich in Technorouten unterwegs und das horizontale Dach in der Südwestwand des Röthelsteins wäre ohne Sitzgurt ein Todeskommando gewesen. Nach einem Sturz, nur mit einem Brustgurt, frei in der Luft zu hängen, hätte unter Garantie eine lebensbedrohliche Situation heraufbeschworen.

Als ich mich kurze Zeit später mit meinen Trittleitern diesen Plafond hinaustechnisierte, steckte meine Knickerbocker in den Beinschlaufen eines nagelneuen Sitzgurtes.

Mein Stolz über diesen neuen Ausrüstungsgegenstand hielt nicht wirklich lange an. Schon in der nächsten Ausgabe der legendären Kletterzeitschrift "Alpinismus" war eindeutig zu lesen, dass Brust - Sitzgurtkombinationen sowas von out wären. Stars wie Andreas Kubin und Wolfgang Güllich trugen nur mehr Hüftgurte. Ohne Brustgurt. Irgendwie sah das viel cooler aus als bei uns.

Aber gut, das waren Sportkletterer die sich in den mickrigen Mittelgebirgsfelsen Deutschlands abmühten. Unser Blick hingegen war auf die hohen Wände gerichtet. Auf Gesäuse, Dachstein, Dolomiten.

Ich blätterte weiter. Ein Artikel von den jungen Tirolern in den Dolomitenwänden tauchte auf. Auch diese Jungs sahen viel cooler aus als wir. Sie trugen weder Helm noch Rucksack und glänzten durch unglaublich schnelle Kletterzeiten in den berühmten Wandfluchten. Eingebunden hatten sie ihr Doppelseil in einen Hüftgurt. Von einem Brustgurt war weit und breit nichts zu sehen.

Ich blätterte weiter. Nun war es der erhobene Zeigefinger des Sicherheitspapstes Pit Schubert, der vor meinen Augen auftauchte. Dazu ein kopfüber im Seil hängender Kletterer und ein Totenkopf darunter. Slogan: "Mit einem Brustgurt würde er noch leben".

Meine Euphorie zum Ankauf eines neumodernen Hüftgurtes war augenblicklichst gebremst. Verdammt.

Erst die Bekanntschaft von Kapfenberger Kletterern brachte mich aus dieser misslichen Gefühlslage. Die nämlich hatten unisono eine Art Ganzkörpergurt mit jeder Menge Schnallen des englischen Ausrüstungsherstellers Troll. Das Beste am Gurt war - man konnte die Schnallen des Sitzgurtes öffnen und blieb dennoch perfekt angeseilt. Das hatte seine Vorteile und die erklärte jeder Besitzer eines solchen Gurtes sofort mit entwaffnender Offenheit. 

"Stell dir vor, du hängst am Standplatz inmitten einer Tausend Meter Wand und plötzlich grumbelt es im Bauch. Beinschlaufen aufgemacht und schon kannst du die Wand hinunterschei...  ohne dich ausbinden zu müssen".

Dieses Argument erschien mir höchst plausibel und nachdem die Jungs selbst in schwierigsten Routen im Yosemite Valley mit solchen Gurten herumturnten, stand einer Anschaffung nichts im Wege.

Der Gurt war echt gut aber irgendwie liebäugelte ich doch die ganze Zeit über mit einem richtigen Hüftgurt. Troll hatte ein solches Teil im Programm und eines Tages kaufte ich es. Ganz glücklich war ich nie damit. Irgendwie erinnerte es an eine Fehlkonstruktion. Der Hüftgurt war ganz seltsam verzogen und er sah einfach nicht wirklich cool aus. Nichtsdestotrotz kletterte ich viele Jahre damit.

Bis zu dem Augenblick als ich bei meinem ersten Wettkampf, (Ich hatte mich in einem Anflug von Größenwahn bei den österreichischen Staatsmeisterschaften angemeldet), neben dem Tiroler Kletterstar Hannes R. am Pissoir stand und dessen Klettergurt des Schweizer Herstellers Mammut musterte. Der war vielleicht sowas von schnittig! Viel schmäler als mein Uraltteil, viel leichter und er hatte nichtmal Schlaufen für die Expreßschlingen. Wozu auch? Beim Wettkampfklettern hingen die Schlingen ja ohnehin in der Wand.

Bis zum zweiten Wettkampf, eine Woche später, hatte Mammut zumindest einen Gurt mehr verkauft. Nämlich an mich.

Auch dieser Gurt begleitete mich jahrelang. Solange, bis mir ein Werbefoto von Petzl ins Auge stach. Eine junge Frau lag bäuchlings und pudelnackt in einem Bachbett. Der Gurt war auf ihren Körper nur bodygepaintet. Mannomann! Ich kaufte den Gurt ohne zu zögern.

Wieder kletterte ich viele Routen mit diesem Gurt bis er schließlich schon unübersehbare Gebrauchsspuren aufwies. In Amerika riss bei einem Abseilmanöver des US Kletterstars Todd Skinner die Einbindeschlaufe seines Uraltgurtes. Augenblicklichst entschloss ich mich, mir einen neuen Gurt zuzulegen.

Zum Glück stand ein Arcourlaub kurz bevor und nachdem ich eine ganze Reihe von Kletterläden erfolglos durchstöbert hatte, bot mir ein Verkäufer im Straßen-Redpoint seine fachkundige Beratung an. Der Junge sah superfit aus und ich fand ihn auch supersympathisch. Bis zu dem Augenblick, als er sein ausgesuchtes Gurtmodell für mich präsentierte. 

Mit verstellbaren Beinschlaufen! - oh mein Gott! Bis zu diesem Moment nämlich waren verstellbare Beinschlaufen für mich das eindeutige Erkennungszeichen alter, schwacher Looser mit Wohlstandsbauch. Jenseits aller Sportlichkeit. 

Dazu hatte er jede Menge Materialschlaufen und auch der Bauchgurt ließ sich mithilfe zweier Schnallen beinahe bis ins Unendliche vergrößern. Vorsichtshalber, falls man doch etwas an Gewicht zulegte. 

Die Farbe war grellstes Neongelb. Gut sichtbar für die Bergrettung, falls man sich einmal übernahm und gerettet werden musste.

Ich probierte ihn widerwillig an. Erstaunlicherweise ließen sich die Beinschlaufen super einstellen und auch um den Bauch fühlte sich das Teil perfekt an. Als ich schließlich den Hängetest machte, gab es auch hier das Aha Erlebnis. Der Gurt war saumäßig bequem und als mir mein Berater die Schlaufe zeigte, wo der Clipstick einzuhängen ist, schlug ich zu.

Er wird mich wohl wieder eine ganze Weile begleiten.



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