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3 Minuten Lesezeit (648 Wörter)

"Lügenpulver"

Chalk, Lügenpulver

„In Amerika klettern sie bereits im achten Schwierigkeitsgrad" erzählte Romanus, während wir am Fuße des Ratengrats, unter der Gedenktafel, ein prasselndes Lagerfeuer schürten. Es war ein verregneter Sonntag im Frühling 1978 und mir klappte die Kinnlade runter.

„Ist nicht wahr"

„Doch, aber das geht nur weil die dort ihre Fingerspitzen in Chalk eintauchen."

„In Chalk ???"

Roman erklärte, dass es sich um ein weißes Pulver handeln würde. Man hängt sich einen kleinen Beutel, voll mit diesem Zeugs um und immer wenn man zu einer schwierigen Stelle kommt, taucht man die Fingerspitzen hinein und kann sich festhalten wie nix. Auch an Griffen, die man mit freiem Auge gar nicht mehr sehen kann.

Mir klappte die Kinnlade noch weiter runter.

„Habt ihr so ein…..ein Chalkzeugs?"

„Noch nicht. Aber wir fahren im Sommer nach Chamonix. Vielleicht gibt es dort so etwas. Die haben ja sonst auch alles.

Mich ließ der Gedanke an das weiße Wunderpulver nicht mehr los. Ob man damit wirklich sooo viel schwerer klettern könnte?

Ein Besuch der Sportgeschäfte in der Umgebung blieb erfolglos. Von so einem weißen Pulver hatte noch nie jemand etwas gehört. Aber immerhin gab man mir den Tipp, eine Drogerie aufzusuchen. Die hätten ja jede Menge verschiedenster Pülverchen. Mit ein bisschen Glück wäre da vielleicht ja auch Chalk darunter.

Zu dieser Zeit sah eine Drogerie etwa so ähnlich aus wie Mister Ollivanders Zauberstabladen in der Winkelgasse und in meinem Fall befand sie sich im Keller eines Fotogeschäftes in der Brucker Mittergasse. Der alte Drogist beäugte mich voller Argwohn als ich ihm von meinem Wunsch erzählte. Erst als ich im erklärte, ich möchte meine Finger in dieses Pulver eintauchen um irgendwo hochzukommen, hellte sich seine Miene auf.

„Du brauchst das also für eine Riesenfelge?"

Ich bejahte ohne die geringste Ahnung zu haben, was eine Riesenfelge ist.

Der Drogist zog nach längerem Suchen eine Lade heraus und kippte mir mit einem Schäufelchen eine Fuhre weißes Pulver in eine Papiertüte.

Und somit war ich stolzer Besitzer von Chalk.

Zuhause kippte ich das Pulver in meinen Turnbeutel und am darauffolgenden Sonntag radelte ich nach Mixnitz um mit meinem Chalk gleich einmal einen Achter zu klettern.

Bouldern gab es damals noch nicht. Weder als Sportart oder Selbstzweck, noch als Wort selbst. Was es aber gab, war der kleine Ratengrat. Ein Felsblock am Zustieg von dem es hieß, dass er die schwierigste Kletterstelle weit und breit beherberge. Wer dort hochkommt, könne alle Routen klettern die es gibt, so der allgemeine Tenor.

Ich schnürte also unter dem Block meine Bergschuhe, trat ein paarmal gegen den Fels damit sich die Erde von den Stollen der Profilsohle löste und tauchte meine Hände in den Stoffbeutel. Schon am ersten Griff hatte ich größte Schwierigkeiten, mich mit meinen weißen Fingern festzuhalten. Am zweiten Griff wurde es noch schlimmer und vom dritten Griff schmierte ich schließlich gotterbärmlich ab und ich zerschellte ungebremst am Waldboden.

Just in dem Moment tauchten meine Freunde auf und unterzogen meinem Pulver ihrerseits sofort einen Test. Immerhin kamen sie auf den Block rauf, ohne abzuschmieren aber das sollte das hochgelobte Chalk sein? Mit dem die Jungs in Amerika den achten Schwierigkeitsgrad klettern? Irgendwas war hier gröbstens faul. Während der nun folgenden Diskussion fiel dann auch das Wort „Riesenfelge" und schließlich kamen wir gemeinsam dem Geheimnis auf die Spur. Der alte Drogist war ein begeisterter Turner und hatte mir (bestimmt ohne böse Absicht) Federweiß anstelle von Chalk angedreht. Dass man sich damit nirgends festhalten konnte lag ja wohl auf der Hand. Wir lachten bis uns der Bauch wehtat und schulterten schließlich unsere Rucksäcke um eine richtige Tour am Ratengrat zu klettern. Diesmal aber ohne weißes Pulver.

Das erste Chalk im Grazer Bergland brachten die Kumpels dann tatsächlich aus Chamonix mit und es war der Auslöser einer jahrelangen, bis aufs Messer geführten, Meinungsverschiedenheit zwischen Befürwortern und Gegnern dieses Lügenpulvers. Nicht selten endeten solche Diskussionen in einer handfesten Rauferei.

Mittlerweile hat sich „Chalk" im Klettersport etabliert und niemand nimmt mehr Anstoß daran.

Die Raufereien aber finden nun zwischen Befürwortern und Gegnern von Tickmarks statt. 

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Kommentare 2

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Bernhard Lechner

am Dienstag, 27. März 2018 22:19

Der Höhepunkt des Magnesiastreits im GBL war dann, dass von den Magnesiagegnern alle, aber auch wirklich alle Griffe im Grazer Klettergarten bis zu einer Höhe von 2 Metern mit Schmierfett bestrichen wurden. Wer es wirklich war kam nie so recht ans Tageslicht. Umso lustiger war es dann, dass wir den Hauptverdächtigen ein paar Jahre später in Arco trafen, wo er sein kleines Säckchen verschämt hinter seinen Rücken versteckte und meinte, dass das in Arco doch erlaubt sei.

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Der Höhepunkt des Magnesiastreits im GBL war dann, dass von den Magnesiagegnern alle, aber auch wirklich alle Griffe im Grazer Klettergarten bis zu einer Höhe von 2 Metern mit Schmierfett bestrichen wurden. Wer es wirklich war kam nie so recht ans Tageslicht. Umso lustiger war es dann, dass wir den Hauptverdächtigen ein paar Jahre später in Arco trafen, wo er sein kleines Säckchen verschämt hinter seinen Rücken versteckte und meinte, dass das in Arco doch erlaubt sei.

Michael Gattol

am Dienstag, 27. März 2018 22:31

ROFL

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