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6 Minuten Lesezeit (1106 Wörter)

„Phallus Dei“ (8b) Arena, Austria - Barbara Raudner.

46811858_1959885370757959_1986171290611875840_n Barbara Raudner in Phallus Dei; photo credit: Michael Maili (Bigwall Productions)

Es ist Spätherbst geworden im Bärenschütztal.

Der Mischwald präsentiert sich in seinen prächtigsten Farben und die Stille hier wird nur unterbrochen vom monotonen Rauschen des Baches und vom Geräusch der fallenden Blätter, die sich im Wind von den Ästen lösen und nun leise wirbelnd durch die Luft getragen werden.

Fast möchte man meinen, es befände sich keine Menschenseele im Tal, wären da nicht leises Lachen und Stimmen aus der hinteren Arena zu vernehmen und die Schritte eines einsamen Wanderers auf der gegenüberliegenden Bachseite.

Die Stimmen aus der hinteren Arena gehören zu Babsi und Hannes Raudner.

Die beiden sitzen auf ihren Rucksäcken unter dem weit ausladenden Überhang, trinken Tee, unterhalten sich über dies und das und genießen die wärmenden Sonnenstrahlen. Um diese Jahreszeit verirrt sich die Sonne nur mehr für wenige Minuten in diesen, sonst immer schattigen Felswinkel, und taucht ihn in goldenes Licht.

Nie zuvor in diesem Jahr waren die Bedingungen für Kletterer hier so perfekt. Nie zuvor waren die Griffe und Tritte so trocken wie an diesem Mittwochmorgen, an dem Barbara Raudner fest entschlossen ist, dem herannahenden Winter zuvorzukommen und ihren großen Traum zu verwirklichen.

Ihr Ziel: die Route „Phallus Dei" im Schwierigkeitsgrad 10.

Der Wanderer ist auf die Stimmen aufmerksam geworden und hat in seinem Schritt innegehalten. Er ist oft im Tal, kennt die Beiden und weiß von Babsis Bemühungen, diesen Meilenstein des österreichischen Sportkletterns zu durchsteigen. Ob sie es diesmal schaffen wird? Gespannt beobachtet er, wie sie sich in`s Seil einbindet und fertigmacht für den, hoffentlich, entscheidenden Versuch.

Barbara tritt unter den gewaltigen Überhang und sortiert ihre Fingerspitzen sorgfältig in die kleinen Startgriffe ein. Noch einmal atmet sie tief durch und im Augenblick höchster Konzentration lösen sich ihre Füße vom Boden und schwingen an den Fels. Wie in einer perfekt einstudierten Kür laufen die ersten Bewegungen ab. Sie erreicht eine markante Sinterfahne und streckt sich weit nach links zu einem Zweifingerloch. Schon jetzt spürt sie instinktiv, dass die zwei Rasttage eine gute Entscheidung waren. Sie fühlt sich ausgeruht und topfit.

An ihrer Rückenmuskulatur zeichnet sich die Anstrengung ab. Barbara setzt das komplette Bewegungsrepertoire eines Spitzenkletterers ein und gewinnt scheinbar mühelos an Höhe. Nach wenigen Metern bereits wartet die erste Schlüsselstelle. Konzentriert stellt sie ihre Füße auf abschüssige, rutschige Tritte und greift mit ihrer linken Hand an einen kaum sichtbaren Griff. Viel zu klein um sich richtig daran festzuhalten, dient er nur als stabilisierender Zwischenhalt, mit dem sie noch einmal ihren Oberkörper an den Fels zieht. Den Schwung dieser Bewegung ausnützend, schnellt ihre linke Hand weiter und erreicht eine waagrechte Leiste die genügend Halt bietet um die rechte Hand lösen zu können.

„Aaaallleeeeez" hört sie die beruhigende Stimme ihres Mannes Hannes, der das Sicherungsseil in Händen hält und jede Bewegung seiner Partnerin konzentriert verfolgt. Er weiß ganz genau wann er Seil ausgeben muss damit sie nicht unnötig viel Kraft verbraucht und wann er Seil einholen muss um einen Bodensturz zu verhindern. Er weiß um die kritischen Passagen in denen sich Barbara am äußersten Limit bewegt und in denen sie jederzeit ins Seil stürzen kann.

Barbaras Atem geht vor Anstrengung stoßweise. Sie zieht das Sicherungsseil hoch. Mit dem metallischen Klicken des Karabiners als sie das Seil einklinkt, fällt die im Raum stehende Spannung ab. Nun ist sie sicher. Kann nicht mehr auf den Boden stürzen. Der gefährlichste Abschnitt der Route liegt hinter ihr.

Barbara erreicht nach weiteren anstrengenden Metern im Überhang die erste Rastmöglichkeit bei der vierten Schlinge. Der Rastpunkt ist schlecht. Er reicht für sie gerade aus um ihre bereits leicht verhärteten Unterarme zu lockern. Um sich zu sammeln, um ihren Atem zu beruhigen und sich gedanklich auf den Weiterweg vorzubereiten. Und der wird hart. Ohne weitere Rastmöglichkeit führt er bis kurz unter den oberen Rand des Überhangs.


Barbara Raudner, photo credit: Hannes Raudner


Hier wartet die kritische Passage! Im Gegensatz zu ihren, dort gescheiterten, Versuchen der vorangegangenen Tage ist Babsis Muskulatur diesmal kaum übersäuert und sie kann deshalb besonders fokussiert klettern. Sie dreht ihr rechtes Bein in den Knieklemmer und clippt das Sicherungsseil in den Karabiner.

Mit jeder Faser ihres Körpers spürt sie, dass sie es jetzt schaffen kann, dass sie diesmal eine reele Chance haben wird, die Route durchzusteigen und ihr Ziel, für das sie so lange hart gearbeitet hat, zu verwirklichen.

Babsi schüttelt ihre Arme abwechselnd aus, versucht abermals zu Atem zu kommen und sich zu sammeln. Auch diese Rastmöglichkeit ist schlecht, aber von entscheidender Bedeutung für die nächsten Meter. Der Schlüsselstelle!.

Los geht's!

Die Züge bis zur Crux bringt sie rasch hinter sich und beim Anblick des entscheidenden Griffes schießt das Adrenalin durch ihren Körper.

Jetzt kann es, jetzt muss es klappen!

Babsi versucht ruhig zu bleiben, muss sich genügend Zeit nehmen um die Finger ihrer rechten Hand mit höchster Konzentration Überkreuz in das Zweifingerloch einzufädeln. Zweimal ist sie an dieser Stelle bereits gescheitert. Diesmal aber ist alles ganz anders.

Sie stellt den linken Fuß auf einen miesen Reibungstritt. Setzt den Rechten ganz exakt und dreht das Knie nach unten. Nun gelingt es ihr, zwei Finger ihrer rechten Hand in das Loch einzufädeln. Es ist trocken und hält.

Babsi atmet innerlich auf. Es fühlt sich perfekt an.

Die beruhigende Stimme von Hannes macht ihr zusätzlich Mut.

„Alleeeeez Babsi! Geht schon! Bleib dran!"

Sie hängt mit ihrem ganzen Gewicht auf den zwei Fingerspitzen. Spannt ihren gesamten Körper an und schnappt mit der linken Hand weiter. Den nächsten Griff erreicht sie trotz Aufbietung all ihrer Kräfte nur an seinem untersten Ende.

Aarrrrghhhh!

Schlecht erwischt, aber erwischt!

Ihre Körpersprache spricht Bände - Jetzt lasse ich nicht mehr los!

Noch einmal mobilisiert sie all ihre Reserven, schnappt mit Links weiter und krallt ihre Rechte in den rettenden Griff.

Die Crux liegt hinter ihr!

Das unbeschreibliche Glücksgefühl, das sich in dem Augenblick in ihr breitmacht, ist sogar für ihren stillen Beobachter an seinem Aussichtsplatz zu verspüren.

Noch aber ist es nicht vorbei! Eine sehr feuchte Leiste vor dem rettenden Topgriff, die sie als Zwischengriff dringendst benötigt, macht das Ganze noch einmal so richtig spannend.

Aber Babsi schraubt zu – jetzt kann sie nichts mehr aufhalten und Sekunden später hält sie den Ausstiegsgriff in Händen.

Der laute Juchzer, den sie loslässt als sie das Seil in die Umlenkung clippt, hallt weithin durch`s Tal.

Lange noch verharrt sie, im Seil hängend, an der Dachkante und genießt das unbeschreibliche Gefühl, es geschafft zu haben.

Erst als sie wieder sicheren Boden unter ihren Füßen verspürt und von Hannes umarmt wird, beginnen die Tränen zu fließen.


Barbara Raudner, photo credit: Hannes Raudner


„Phallus Dei" (8b) wurde im Frühsommer 1986 von Robert Kerneza erstmals durchstiegen und rangierte zu dieser Zeit unter den 25 schwierigsten Kletterrouten der Welt.

Christian Münch gelang am 16.02.2016 die vermutlich erste Flashbegehung dieses Meilensteins steirischer Kletterkunst.

Barbara Raudner war, nach Waltraud Anderle im Sommer 2018, als zweite Frau am 14.11.2018 erfolgreich. 

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