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4 Minuten Lesezeit (781 Wörter)

Neuer Einsatz, neues Spiel.

Neuer Einsatz, neues Spiel.

Die Wand sieht echt Klasse aus. Hoch oben über dem Gardasee. Elfenbeinfarbener Fels unter blauem Himmel. Da hat uns unser Altmeister Ewald wieder einmal zu einem verborgenen Kleinod im Klettermekka Arco geführt! 

Die Sache hat nur einen Haken. Die Touren sind mir definitiv zu schwer um ihnen mit einer brauchbaren Vorgangsweise zu Leibe zu rücken. 

Der 60+ jährige Ewald ist unbeeindruckt von der glatten Plattenwand vor ihm und bindet sich ins Seil.

"Irgendwo findet sich immer ein "Nager" grinst er und meint die, von unten nicht sichtbaren, fingernagelgroßen Tropflöcher die überhaupt erst eine kletterbare Linie möglich machen.

Während Ewald wie ein Eichkatzerl an Höhe gewinnt, schleppe ich mein Seil ganz an den rechten Rand des Massivs.

Hier sollte es, laut Führer, eine Tour für meine bescheidenen Möglichkeiten geben und kurz darauf mühe ich mich in einer Route ab, die so gar nicht das Gelbe vom Ei ist. Sie ist rutschig, irgendwie voll unangenehm abdrängend zu klettern und vor allem viel schwerer als erwartet. Aber immerhin war es ein astreiner onsight. Auch wenn ich mich hochgezittert habe ohne Ende und der Durchstieg alles andere als ein optischer Augenschmaus war.

Ein bisschen neidisch schiele ich hinüber zu Ewald, der tatsächlich seine "Nager" gefunden hat und mit einem Durchstieg dieser geilen Wand belohnt wurde. "Probiers doch" bietet er mir an. "Ist eh ned schwer. Hau dich eini im Toprope!"

Ich stehe mir und meinem Ethikwahn im Weg und lehne grummelnd ab.

Etwas ähnliches passiert mir in der brandneuen Boulderhalle "Newton" in Kapfenberg.

Während die Jungs und Mädels sich in die geilen, schweren Boulder reinschwingen, krabble ich irgendwo allein und verlassen in einer Ecke an Bouldern herum, dessen Farbe mir zumindest gute Erfolgschancen prophezeihen. Auch wenn ich den Topgriff erreiche - befriedigend ist das alles ganz und gar nicht. Trotzdem hake ich Boulder um Boulder ab und springe jedes Mal, die Abkletterhenkel ignorierend, vom Topgriff ab. So lange, bis Knie und Wirbelsäule kapitulieren und die weiße Fahne schwenken. 

Die darauffolgende Zwangspause bringt mich zum Nachdenken. So kann´s nicht weitergehen! So macht das eindeutig keinen Spaß mehr. Irgendetwas muss passieren!

Mein nächster Besuch im Newton beschert mir die Bekanntschaft mit Daniel.  Der Junge ist supersympathisch und bouldert in einer Liga von der ich nicht einmal ansatzweise träumen kann. Trotzdem versuchen wir dieselben Probleme. Daniel steigt sie in wenigen Versuchen durch und ich hebe zumindest deutlich besser vom Boden ab als befürchtet. Immer wieder gibt er mir Tipps, motiviert mich, feuert mich an. Am Ende der Session habe ich eine ganze Reihe von Bouldern probiert, an die ich mich ohne meinen neuen Bekannten niemals herangewagt hätte. Ich bin platt und euphorisch - ich bin wieder im Spiel, auch wenn ich nur ein paar Züge hinbekommen habe. Und es fühlte sich viel besser an als ich es mir erträumt habe. Ich gehöre wieder dazu.

Die Suppe die ich mir in meinem Ethikwahn eingebrockt habe, löffle ich ganz bestimmt nicht mehr aus. 

Ethik, onsight, Rotpunkt rutscht mir doch den Buckel runter! 

Ich will doch nur mit meinen Freunden klettern und lässige Tage am Fels verbringen und alles andere ist mir in Zukunft, mit bald sechzig, gelinde gesagt, wurscht.

Mit dieser Einstellung habe ich mich vor kurzem wieder einmal mit meinen Arco Boys getroffen. Herrliches Wetter, tiefblauer Himmel und eine Gaude wie immer, wenn wir gemeinsam zum Klettern gehen. 

Irgendwann hing das Seil vom Top einer Route, die ich vor vielen Jahren einmal gepunktet habe. Sie hat eine richtig schwere Plattenpassage, ist fußtechnisch sehr unsicher an kaum sichtbaren Trittchen und mit einem Hakenabstand zu dem man sie sagen kann. Ich habe mich in den letzten Jahren nie mehr im Vorstieg hinaufgetraut und meine ethischen Bedenken ließen mich selten zu einem Topropeversuch hinreissen. Meist verzichtete ich darauf und kletterte eine leichtere Tour daneben.

Diesmal aber war alles anders. Als ich mit Sicherung von oben einstieg, war es mir völlig wurscht ob ich ein oder zehnmal im Seil hängen würde. Ich nahm mir die Zeit, völlig entspannt auf den Tritten zu stehen. Fand plötzlich Strukturen die ich noch nie zuvor wahrgenommen hatte, inspizierte die blühende Kuhschelle, die neben einem Griff aus der blanken Wand wuchs und kam, ohne es richtig mitzubekommen in einen ruhigen, weltentrückten Flow. 

Über die gefürchtete Plattenstelle schwebte ich förmlich hinauf und es fühlte sich genau so an, wie sich klettern anfühlen sollte.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht powerte ich mich durch den oberen Teil der Tour und auch wenn es noch richtig anstrengend wurde hielt ich in aller Ruhe nach Tritten Ausschau, die mir ein wenig Gewicht von den Armen nehmen könnten.

Das Erreichen des Ausstiegshenkels war für mich einer der schönsten und befriedigendsten Momente der letzten Kletterjahre und es machte Spaß wie schon lange nicht mehr.

Befreit von der Last der Regeln klettern zu können hat eindeutig was.

Für mich wohl die Zukunft.

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