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7 Minuten Lesezeit (1465 Wörter)

Klettern und Yoga - eine Seilschaft fürs Leben?

Klettern und Yoga

Yoga und Klettern - das hört man immer mehr. Ist das nur ein vorübergehender Trend, wie es so viele davon gibt? Was ist eigentlich dran an dieser Kombination und warum passt das so gut zusammen? 

Ich erinnere mich noch genau an die Vorstellungsrunde bei meinen ersten Kletterversuchen im Kletterkurs. Ich habe erwähnt, dass ich leidenschaftlich gerne Yoga mache und gerade dabei bin, eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin zu machen. Die Reaktion meines Trainers, der viele Jahre Klettererfahrung und echte Leidenschaft fürs Klettern mitbrachte: "Wow, das ist toll! Du wirst merken, wie viel Dir Yoga fürs Klettern bringen wird." Ich war zunächst skeptisch. Denn eigentlich war ich es gewohnt, Yoga aus einer gewissen Absichtslosigkeit heraus zu praktizieren. Was das bedeutet? Ich setze mir kein Ziel und bin offen für Veränderungen, die sich durch meine Praxis ergeben. Ohne konkrete Ziele ist mein Blick weiter für mögliche positive Aspekte... 

Nun kam das Klettern in mein Leben - und das vom ersten Tag an sehr intensiv ;). Mein Klettertrainer wurde zu meinem Kletterpartner und durch seine jahrelange Erfahrung durfte auch ich schnell erleben, was Klettern ist und wie viele Facetten hinter diesem Sport stecken. Und ich habe angefangen, am eigenen Körper und meiner eigenen Kletterei zu erleben, wie gut die Kombination aus Yoga und Klettern doch ist...

Der Körper ist Dein Werkzeug

Einige positive Aspekte können wir schnell spüren, wenn wir Yoga praktizieren. Denn sie sind unmittelbar. Wir können sie mit einem neuen Werkzeug vergleichen, das uns die Arbeit erleichtert. Sie betreffen unseren Körper, den wir beim Klettern als Werkzeug nutzen. Einige Beispiele, wie sich Yoga auf unseren Körper auswirken kann: Plötzlich haben wir mehr Kraft in der Schultermuskulatur. Plötzlich können wir unseren Fuß auf einen Tritt heben, den wir zuvor nicht erreicht haben. POder wir merken, dass wir eine bessere Balance haben. Über die positiven körperlichen Aspekte, die uns Yoga bringt, wurde bereits viel erzählt. Es geht um Beweglichkeit, Balance und Kraft. Und ganz nebenbei hilft Yoga zum Glück auch dabei, der oft so schlechten Körperhaltung von Kletterer*Innen entgegenzuwirken. Denn das Klettern trainiert uns eher einseitig, Yoga hingegen lenkt den Fokus auf unseren ganzen Körper. Yoga beugt auch Verletzungen vor, da flexible und gedehnte Muskeln weniger verletzungsanfällig sind. Nicht zuletzt verbessert Yoga Dein komplettes Körperbewusstsein. Du kannst Deine Bewegungen besser kontrollieren – das sorgt dafür, dass Du mit mehr Leichtigkeit und weniger Kraftverlust klettern kannst.

Die positiven Aspekte von Yoga für unseren Körper

  • KlettererInnen neigen leider oft zu einer schlechten Haltung. Vor allem die Schultern und die obere Wirbelsäule werden beim Klettern einseitig trainiert. Mit Yoga kannst Du diese Körperregionen mit gezielten Übungen mobilisieren. 
  • Eine bessere Hüftbeweglichkeit hilft Dir beim Klettern. Viele Yoga-Übungen öffnen die Hüfte und sorgen für eine bessere Beweglichkeit.
  • Was für die Hüfte gilt, gilt auch für Deinen Brustraum. Yoga öffnet Deinen Brustraum und verhilft Dir so zu mehr Spannweite in den Armen. Mit Yoga erreichst Du vielleicht also Griffe, zu denen Du anders nicht hinkommen würdest.
  • Yoga hilft Dir, eine bessere Kontrolle über Deinen Körper zu bekommen. Außerdem kannst Du mit Yoga Deine Balance verbessern. Das hilft Dir, auch an wackeligen Stellen sicher zu stehen.
  • Der Geist ist Dein Motor

    Nun zu den weniger offensichtlichen Aspekten. Zu denen, die Du nicht spürst, wenn Du darauf wartest. Sie können Dich aber überraschen, wenn Du nicht damit rechnest. Denn irgendwann sind sie da, wenn Du Dich darauf einlässt. Sie betreffen Deinen Motor beim Klettern. Deinen Kopf, Deine Psyche, Deine mentale Stärke. Beim Yoga lernst Du, Deine Komfortzone zu verlassen. Deine regelmäßige Yoga-Praxis senkt das Stresshormon Cortisol, zugleich steigt Deine Stressresistenz. Das alles hat natürlich positive Auswirkungen auf Dein Klettern!

    Die positiven Aspekte vpn Yoga für unseren Geist
  • Yoga - das ist doch vor allem Entspannung? Von wegen... Auf der Matte musst Du durchaus auch Deine Komfortzone verlassen. Setzt Du Deinen Atem richtig ein, hilft Dir das, ruhig zu bleiben. Wenn es Dir gelingt, diese Fähigkeit auch an der Wand einzusetzen, wirst Du deutlich schwerere Routen klettern können!
  • Deine Yoga-Praxis kann Dir dabei helfen, mentale Stärke aufzubauen und Deine Stress-Resistenz zu erhöhen. Begegnen Dir beim Klettern Themen wie Sturzangst, kann das sehr hilfreich sein.
  • Wenn Du regelmäßig Yoga praktizierst, lernst Du, Deine gesamte Aufmerksamkeit auf den jetzigen Moment zu richten. Diese mentale Stärke kann Dir beim Klettern helfen, beispielsweise wenn Du Schlüsselstellen meistern willst.
  • Kleiner Ausflug in die Yoga-Philosophie

    Ich möchte Euch an dieser Stelle einen kleinen Einblick in die Yoga-Philosohie geben. Denn Yoga ist so viel mehr als das Praktizieren von Asanas auf der Matte. Ich verstehe Yoga eher als eine Lebensweise. Du möchtest nicht den Weg zur Erleuchtung und Selbsterkenntnis gehen? Muss Du auch nicht. Aber bestimmte Aspekte der Yoga-Philosophie können uns Kletterer*innen mental stärken. 

    Ganz konkret möchte ich Dir die so genannten 5 Kleshas vorstellen. Sie sind im Yoga-Sutra beschrieben, quasi der Quelle der yogischen Weisheit. Patanjali (Verfasser des Yoga-Sutra) bezeichnet die Kleshas als Hindernisse auf dem Weg zu einem erfüllten Leben. Wenn wir dieses Wissen auf unsere Kletterei übertragen, können wir sie als als Hindernisse auf dem Weg zum glücklichen Klettern bezeichnen.

    Die 5 Kleshas und ihre mögliche Bedeutung für Kletter*innen

    1) Avidya = Unwissenheit, oder auch subjektive Wahrnehmung. In den seltensten Fällen gelingt es uns, Dinge neutral zu betrachten. Sofort geben wir eine Wertung hinein. Bei Kletterrouten: „Puh, die ist bestimmt schwer." oder „Die Griffe sind bestimmt schlecht." Und nun kommt ein sehr wichtiger Aspekt. Unsere Wahrnehmung folgt unserer Aufmerksamkeit. Richten wir also unsere Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Wertung wie "die Route ist bestimmt schwer", werden wir sie auch so empfinden. Versuche dich also bewusst von diesen wertenden Aussagen zu lösen und steige einfach in die Route ein. Dann wirst Du sehen, wie die Route ist.

    2) Asmita = Identifikation, oder das falsche Verständnis der eigenen Person. Wir werden in eine bestimmte Rolle, in eine Familie, in ein Geschlecht hineingeboren. Mit dieser Rolle, mit diesem „Ich" identifizieren wir uns. Auch beim Klettern. „Im Überhang bin ich schlecht." oder „Immer, wenn ich über Kanten klettern muss, habe ich Angst." Allzu schnell sind wir in unseren Rollen gefangen. Die Folge: Wir vergessen, zwischendurch zu überprüfen, ob wir das überhaupt noch sind. Das kann zu Selbstüberschätzung auf der einen und Minderwertigkeitsgefühle auf der anderen Seite führen. Wir sollten uns viel öfter die Frage stellen: „Wer bin ich?" oder konkret „Wer bin ich beim klettern?" Denn vielleicht waren wir gestern noch schwächer im Überhang als heute. Vielleicht bereiten uns bestimmte Dinge längst keine Schwierigkeiten mehr. Doch wenn wir sie als schwer im Kopf behalten, werden sie das immer bleiben. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit und so...;)

    3) Raga = Wollen, oder Gier. Der größte Wunsch von uns Menschen ist es, glücklich zu sein. Wir streben also nach glücksverheißende Erfahrungen. Haben wir diese gemacht, wollen wir mehr davon. Was bedeutet das beim Klettern? Haben wir an einem Tag eine 8+ geklettert, bedeutet das nicht, dass wir das immer wieder schaffen. Und vor allem sollte das nicht heißen, dass wir von nun an nicht mehr zufrieden sind, wenn wir keine 8+ klettern. Ein gesunder Ehrgeiz kann hilfreich sein. Doch ein übertriebenes Verlangen nach Erfolg schadet uns eher. Denn es kann uns den ganzen Spaß am Klettern nehmen.

    4) Dvesha = Abneigung, oder unbegründete Ablehnung. Dies beginnt oft bei uns selbst, indem wir kritisch mit unserem äußeren Erscheinungsbild sind, uns selbst ablehnen. Viele Menschen lehnen leider auch andere Menschen ab. Sei es wegen ihres Glaubens, ihrer Hautfarbe oder ihrer politischen Einstellungen. Und genauso lehnen wir oft neue Dinge ab: Vielleicht neue Trainingsmethoden, neue Routen, neues Material. Das kann hinderlich sein. Für uns. Und für unser Potenzial.

    5) Abhinivesha = Furcht. Im yogischen Sinne ist mit Furch die Furcht vor dem Tod gemeint. Im weiteren Sinne und auf unser modernes Leben übertragen geht es aber um jegliche Form von Angst. Die Angst ist das Hindernis, das für uns am schwersten zu überwinden ist. Die meisten von uns empfinden sicherlich ab und an Angst beim Klettern. Und diejenigen, die ihr begegnen, wissen, wie sehr sie uns hindern kann. Daran, entspannt, effizient und glücklich zu klettern. Je weniger wir uns unseren Ängsten bewusst sind, desto größer sind sie. Eine bewusste Auseinandersetzung kann also helfen und ein erster Schritt sein, sie zu bewältigen.

    Wie uns das Wissen über die Kleshas nun beim Klettern weiterbringt? Im ersten Schritt sollten wir uns bewusst machen, dass es sie gibt. Und wir sollten wissen, dass die meisten Menschen unbewusst danach handeln. Mit unserem Bewusstsein können wir sie überwinden. Das geht nicht sofort. Und sicherlich überwinden wir auch nicht alle auf einmal. Aber nach und nach vielleicht. Und dann – im yogischen Sinne gesprochen können wir eins werden mit unserem Klettern;). 


    Analena Rischpler: Yoga-Lehrerin (RYT 200) und Gründerin der climBe Kletterschule. Wir bieten Kletterkurse in München sowie Klettercoachings, Kletterreisen und (online-)Yoga für Kletter*innen. 

    Einen ähnlichen Blogbeitrag habe ich bereits für den climBlog geschrieben: Klettern und Yoga - eine Seilschaft fürs Leben

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