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7 Minuten Lesezeit (1462 Wörter)

Liebe deine Feinde

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Klettern ist eine gefährliche Sportart. Am 10. Juli 1994 musste ich erfahren, dass eine kleine Unachtsamkeit große Auswirkungen haben kann.

Der Unfall

Ich wachte auf. Der Hubschrauber ratterte über mir. "Jemand muss einen Unfall gehabt", dachte ich. Aber zuerst einmal orientieren. "Welches Jahr haben wir? Keine Ahnung. War ich schon ein Jahr zum Studieren in Grenoble? Eher nicht. Warum redet E. so komisch mit mir? Ich weiß, wie ich heiße und die Zehen kann ich bewegen. Siehst du?" Mir schwante langsam, dass der Hubschrauber wegen mir da war. "Marandjosef. Was die Bergung kosten wird." Der Hubschrauber drehte ab. Zuviel Wind für eine Seilbergung, wie ich später erfuhr. Dafür traf der Notarzt mit den Bergrettern ein. Alles Bekannte: der Hans und Wieheißterdochschnellluis? Spritze rein, rauf auf die Trage und hinunter zum Forstweg, wo das Rettungsauto schon eingetroffen war. Ich wurde verladen und zur großen Wiese in Mixnitz beim Tennisplatz gebracht, wo der Hubschrauber auf mich wartete. Die Lebensgeister kamen wieder. Der Hubschrauberpilot war ein harter Knochen. "Ich solle mich nicht so anstellen.", sagte er zu mir. "Mein letzter Passagier, den ich von hier abgeholt habe, war in einem deutlich schlechteren Zustand als du." Ich wusste, wovon er redete. Es war ein Selbstmörder, der sich in der Drachenhöhle verkrochen hatte und erst nach einem halben Jahr gefunden worden war. Dagegen war ich das blühende Leben. Abflug ins LKH Graz, wo das Ärzteteam schon benachrichtigt worden war und auf mich wartete.

Was war passiert? Ich war als allerletzte Tour des Tages noch die Route "Supersaurier" geklettert. Es gab keinen Umlenkkarabiner. Ich fixierte mich am Haken mit einer Expressschlinge, löste den Knoten, fädelte das Seil durch und --- ja--- klinkte dabei auch die Selbstsicherung aus. Das bedeutete: Abflug über die ganze Route mit einem Achtungschrei. Erster Aufschlag auf einem lehmigen Absatz und dann weiter den steilen Schlag hinab, bis ich mich in einem kleinen Bäumchen verfing.

Im Krankenhaus

Der Flug war ein sanftes Hüpfen durch die Luft. Im Krankenhaus dann rein in den Lift und zum OP. Eine Assistenzärztin fragte mich, ob sie mir den Pullover runterschneiden dürfte. Ich schaute sie entgeistert ein? Selbstverständlich, was interessiert mich der Fetzen. Sie meinte nur, weil Motorradfahrer oft Stunk machen würden... Die Stimmung war angespannt. Ich machte den besten Witz meines Lebens. "Ob jemand eine Kletterausrüstung kaufen wollte?", fragte ich in die Runde. "Ich hätte eine günstig abzugeben." Ich begann bereits wieder Pläne für die Zukunft zu schmieden. Mit dem Klettern wird es wohl nichts mehr werden, aber welchen Sport kann man nur mit der rechten Hand machen? Tischtennis. Ich werde wohl auf Tischtennis umsteigen müssen.

Es ging los. Die erste Operation.

Ich kam mir im Krankenhaus mit meiner offenen Handgelenksluxationstrümmerfraktur zweiten Grades dann gar nicht so krank vor, da ich -sozusagen- der Einarmige unter den Lahmen war. Mein Bettnachbar, ein Polizist meinte zwar, dass ihm beim Anblick meiner verletzten Hand schon übel geworden war, meinen anderen Zimmergefährten ging es aber deutlich schlechter als mir. Es war Hochsommer und damit gab es zwei Hauptkunden auf der Unfallchirurgie: die Motorradfahrer und Die-Ins-Zu-Seichte-Wasserköpfler. Für die Letztgenannten bedeutete dies: Querschnittlähmung vom Hals abwärts. Bei den Damen hatten wir dann noch die häusliche Gewalt. Die sympathische X. war von ihrem Ehemann, wie jeder wusste und niemand sagte, vom Balkon gefallen worden und bei ? hatte der Oberarmtrümmerbruch dieselbe Ursache.

Ich bin seit dieser Zeit auch ein vehementer Verfechter der Hubschrauberbergung. Neben mir lag ein Jäger mit Querschnittlähmung, der mit seinem Geländewagen vom Forstweg abgekommen war, und jodelte im Delirium. „Wäre er mit dem Hubschrauber geborgen worden, wäre er nach zwei Wochen nach Hause gegangen", sagten die Ärzte. „Beim Transport mit dem Rettungswagen über die holprige Forststraße hatten sich aber die gebrochenen Wirbel verschoben…"

Es war immer dieselbe Geschichte: Ich schlich durch die Gänge der Unfallchirurgie. Ein Oberarzt blieb unvermittelt stehen und hielt mir eine Standpauke. Er wäre bei der Operation dabei gewesen. Ich hätte unvorstellbares Glück gehabt. Niemand könne sich erklären, wie der Hauptnerv der Hand unbeschädigt von der Innenseite des Unterarms an die Außenseite gelangen könne.

Die zweite Operation, gedacht zur Reinigung der Wunde und Entfernung der Entzündungen wurde als nicht mehr notwendig abgesagt. Mit anderen Worten: es ging bergauf. Schneller als erwartet. An die tatsächlich zweite Operation erinnere ich mich nicht mehr, außer dass ich dann noch mehr Metall im Unterarm hatte. Die dritte Operation, eine Hauttransplantation, hatte es dann aber in sich. Ich lag hilflos am OP-Tisch, der Chirurg sah mich mit glasigen Augen an und tratschte mit der Krankenschwester, dass er jetzt dreißig Stunden Dienst versehen hätte und blablabla, als plötzlich der OP-Tisch zusammenbrachte und meinte Hand ungebremst auf den Boden knallte. Jedoch Ehre wem Ehre gebührt. Jeder medizinisch Fachkundige, der meine Pfote in den nächsten Jahren begutachtete, sagte nur: „Gute Arbeit" oder „Bon Travail".

Nach etwas mehr als fünf Wochen wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen, nach ca. 9 Wochen wurde der Fixateur entfernt und das war echt wild. Ich ging nichts ahnend zur Kontrolle, der Herr Oberarzt schaute sich mein Handgelenk an und sagte lapidar zum Pfleger, dass der Fixateur entfernt werden könne. Der Pfleger schlurfte zum Kasten, holte die Hiltibohrmaschine heraus, stellte sie auf Linkslauf und zog mir, brummbrumm, eine Metallstange nach der anderen aus den Knochen. Die „Operation" war absolut schmerzlos. Mir wurde trotzdem schwarz vor Augen. Vier Stangen lang hielt ich mich mit Ach und Krach bei Bewusstsein. Bei der fünften wäre ich aber auf jeden Fall ohnmächtig geworden.

Rekonvaleszenz

Mitte September waren die chirurgischen Arbeiten erledigt. Ich setzte mich in den Zug und fuhr für ein Auslandsstudienjahr nach Grenoble. Meine Glückssträhne hielt an. Warum? Die Franzosen waren den Österreichern in puncto Physiotherapie um sicher fünfzehn Jahre voraus. Statt einer lausigen halben Stunde pro Woche hieß es in Grenoble nun für mehr als sechs Monate zwei Stunden Physiotherapie. Pro TAG!

Bei meiner letzten Einheit in Graz meinte die Physiotherapeutin, dass ich noch lange Zeit nicht klettern könne. Ich folgte ihrem Rat und ließ die Kletterausrüstung zu Hause. Ein kostspieliger Fehler. In Grenoble meinten sowohl Ärztin als auch Physiotherapeut, dass es für mein Handgelenk nichts Besseres gäbe als – erraten- zu klettern, wenn ich mich noch trauen würde. Und ob. Rein in die Straßenbahn und zwei Stunden später besaß ich eine vollständige Kletterausrüstung. Wir sind nun beim spannendsten Kapitel angelangt: der

Psychologie

Mit meiner Kletterkarriere ging es steil bergauf. Unfall am 10.Juli. Das Titelfoto entstand rund um den 20. August. Erster Klettertag war der 6. Oktober. Der Fünfer war etwas zu leicht. Eine 6b war gerade richtig. Ich wurde Dauergast in der Kletterhalle. Ab Mitte Dezember dann Mehrseillängenrouten (die erste hatte 18 Stück bis 6a+, was eher eine schlechte Idee gewesen war, da ich drei Anfänger am Seil hatte und wir auch noch abseilen mussten. Aber das ist eine andere Geschichte und sie wird ein andernmal erzählt werden) in Presles. Im Frühjahr die erste 7b und bis 7c im alpinen Gelände. Die nächste 8b kletterte ich erst wieder im März 1999. Daran waren aber mehr ein Studienabschluss und eine nicht kletternde Freundin schuld.

Zwei Erfahrungen waren wenig überraschend: im Krankenhaus ein gewaltiger (Lebens)hunger. Nach dem Mittagessen klapperte ich meine Leidensgefährten im Zimmer ab und aß alle Reste, die ich kriegen konnte. Zu Hause hatte ich rund zwei Monate lang permanent das Gefühl zu träumen und dass ich plötzlich aus diesem Traum aufwachen würde. Mir erschien alles unwirklich und nichts war schöner als zu schlafen.

Und drittens: keine Angst mehr. „Meine Zeit ist noch nicht gekommen.", dachte ich mir mehr unbewusst. „Wenn dieser Abgang nicht für den Heldentod gereicht hat, dann steht er in der nächsten Zeit auch nicht am Programm." Was kann also noch passieren? So unglaublich es auch klingen mag: ich kann mit dem Unfall nichts Negatives verbinden. Die Schmerzen waren nicht schlimm und sind schon lange vergessen. Ich habe meine zerdepschte Hand nie gesehen. Dann war da noch die Ohnmacht. Bevor mich das Rotorengeräusch des Hubschraubers wieder in die Wirklichkeit zurückholte, schwebte ich durchs Universum. Das war -verzeiht mir den Ausdruck- echt geil. Ich wiederhole mich, weil es so krass ist: Wenn ich an meine Verletzung denke, und das tue ich auch noch nach 25 Jahren notgedrungen mehrmals täglich, dann ist die Grundstimmung nur das unendlich schöne Gefühl während der Ohnmacht.

Obwohl äußerlich alles beim Alten blieb, unterschied sich der B., der bei der Umlenkung abmarschierte, deutlich vom B., der dann am Boden aufschlug. Mein Leben nahm eine Richtung, die ich VORHER nie für möglich gehalten hätte. Ich möchte nicht näher darauf eingehen, weil das hier ein Kletterblog ist und es euch nichts angeht. Nur ein Zitat* sei mir hier als kleine Andeutung erlaubt, und um den etwas kryptisch klingenden Titel ein wenig zu erklären: „Letztlich lässt sich alle Therapie, die diesen Namen auch verdient, in jenem vielleicht wichtigsten Christussatz zusammenfassen: Liebet eure Feinde."


*Rüdiger Dahlke „Krankheit als Sprache der Seele", S. 431

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Kommentare 4

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Horst Jobstraibitzer

am Sonntag, 20. Januar 2019 17:36

Ich bin an jenem Tag, nach einer lässigen Kletterei, beim Fuchswirt gesessen als der Hubschrauber in das Tal geflogen ist. Den Lechner hats erwischt wurde gemunkelt. Ich kann mich noch an mein Entsetzen erinnern. Dein Vater hat dann Entwarnung vom Schlimmsten gegeben. Als ich Tage später unter dem Felsen stand und einen Lokalaugenschein vornahm, konnte ich mir nicht vorstellen wie man so einen Abflug überleben kann.

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Ich bin an jenem Tag, nach einer lässigen Kletterei, beim Fuchswirt gesessen als der Hubschrauber in das Tal geflogen ist. Den Lechner hats erwischt wurde gemunkelt. Ich kann mich noch an mein Entsetzen erinnern. Dein Vater hat dann Entwarnung vom Schlimmsten gegeben. Als ich Tage später unter dem Felsen stand und einen Lokalaugenschein vornahm, konnte ich mir nicht vorstellen wie man so einen Abflug überleben kann.

Rob Harbert

am Montag, 21. Januar 2019 06:46

Ja kann mich noch gut daran erinnern das du dich verletzt hast. Aber in unserer Runde wurde erzählt das du dir bei einem Studenten Job, wo du in den Bäumen herumgeklettert bist abgestürzt bist. Naja stille Post halt.

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Ja kann mich noch gut daran erinnern das du dich verletzt hast. Aber in unserer Runde wurde erzählt das du dir bei einem Studenten Job, wo du in den Bäumen herumgeklettert bist abgestürzt bist. Naja stille Post halt.

Bernhard Lechner

am Montag, 21. Januar 2019 19:21

Buh, interessantes Gerücht, das mir nie zu Ohren gekommen ist. Ist aber ziemlich weit daneben (mindestens ein paar Jahre). Was über mich und meinem Unfall in den Zeitungen zu lesen und im Radio zu hören war, hat mich an unseren "Qualitätsmedien" auch stark zweifeln lassen. War so ziemlich alles Bullshit.
Richtig ist, dass meinereiner und jeden, den ich überreden konnte, für MM gearbeitet hat. War supergefährlich, aber auch super gut bezahlt.
Ich möchte noch betonen: das Angebot von MM, die angeblich widerrechtlich installierten Haken aus der Roten Wand zu entfernen, haben sowohl Nede als auch ich abgelehnt.

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Buh, interessantes Gerücht, das mir nie zu Ohren gekommen ist. Ist aber ziemlich weit daneben (mindestens ein paar Jahre). Was über mich und meinem Unfall in den Zeitungen zu lesen und im Radio zu hören war, hat mich an unseren "Qualitätsmedien" auch stark zweifeln lassen. War so ziemlich alles Bullshit. Richtig ist, dass meinereiner und jeden, den ich überreden konnte, für MM gearbeitet hat. War supergefährlich, aber auch super gut bezahlt. Ich möchte noch betonen: das Angebot von MM, die angeblich widerrechtlich installierten Haken aus der Roten Wand zu entfernen, haben sowohl Nede als auch ich abgelehnt.

Johannes Mayer

am Freitag, 08. Februar 2019 21:36

Wahnsinnig gut erzählte Geschichte!
Hat richtig Spaß gemacht zu lesen.
Kann mich genau in die Situation hineinversetzen und freu mich für dich, dass es so gut verlaufen ist nach dem Unfall.

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Wahnsinnig gut erzählte Geschichte! Hat richtig Spaß gemacht zu lesen. Kann mich genau in die Situation hineinversetzen und freu mich für dich, dass es so gut verlaufen ist nach dem Unfall.