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4 Minuten Lesezeit (786 Wörter)

Topo online

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 „Es gibt angeblich ein brandneues Massiv", erzählt mir Franz am Telefon.

„Soll super sein. Gut abgesichert, 30 m hoch und nicht allzu steil. Also genau das Richtige für uns!".

Klingt ja Klasse. Wir haben uns für den nächsten Tag zu einem Altherren Klettertag verabredet. Seit ewigen Zeiten klettern wir miteinander, sind viele Male gemeinsam nach Arco gefahren, oder nach Buoux, oder sonstwohin.

Jetzt treten wir beide klettermäßig zwar schon um einiges leiser aber die alte Freundschaft und Begeisterung am Kraxeln verbindet uns nach wie vor.

„Hast du ein Topo?" frage ich meinen Kumpel.

„Noch nicht" antwortet er. „Aber im Internet soll´s was geben. Ich schau mal."

Eine Stunde später läutet mein Handy.

„Diese verdammte Kiste von Laptop ist abgestürzt" erklärt er zerknirscht.

„Kannst du bitte schauen?"

Franz versorgt mich mit den notwendigen Infos und der Bitte, ihm Bescheid zu geben sobald ich was habe.

„Mailst du mir das Topo dann? Dann kann ich noch ein bisschen schmökern am Abend."

Franz und ich gehören zur Generation die noch mit Routenbeschreibungen großgeworden ist.

„ An einer schmalen Schuppe nach links und gerade hoch zu H. Nun dem Riss folgend zu Stand auf kleiner Kanzel (V - VI)."

Nach diesen klassischen Kletterführern kamen dann die ersten Topoführer.

Ich erinnere mich an den ersten Arco Führer von Martin Lochner. A4 mit Schnellhefter.

Oder der erste Führer von Crni Kal oder Kotecnik. Die kopierten Zettel wurden mit der Nähmaschine vernäht da der Führerautor (im damaligen Jugoslawien) keine Klammermaschine besaß.

Mein erster Kletterführer war übrigens die 1. Ausgabe von Franz Horich´s „Grazer Bergland". Dafür musste ich mit dem Zug nach Graz um dort im Alpenvereinsbüro, in der Innenstadt, das Objekt meiner Begierde zu erstehen. Das war eine Tagesreise und ich erinnere mich noch daran als wäre es gestern gewesen.

In der Nacht hat es geschneit. Es war tiefster Winter, als ich in Peggau aus dem Zugfenster sah und der Kugelstein direkt vor meinen Augen in die Höhe ragte. Ich konnte gut erkennen wo flachere Wandbereiche waren und wo es richtig steil wurde. Auf der Heimfahrt, das wusste ich, würde ich dank des Kletterführers genau sehen können wo die Routen verlaufen. Meine Ohren glühten vor Vorfreude.

Das alles ist Geschichte und die Kletterführer stapeln sich mittlerweile in meinem Keller.

Mehrere Ausgaben Arco und Kanzianiberg, Verdon, Ceüse, Buoux. Manchmal blättere ich darin. Finde alte Notizen. Mit Filzstift nachgemalte Linien und daneben die Bemerkung o.s. für onsight, flash, oder RP. im 3. Versuch.

Nun sind meine Errungenschaften auf irgendwelchen Ticklists nachzulesen, die ich leider nicht mehr aufrufen kann weil ich das Passwort vergessen habe. 

Ich bin ja ein blutiger User was Internet oder Handy-Apps betrifft. Obwohl ich beruflich täglich vor dem Computer sitze, kann ich nur das allernötigste. Es reicht gerade für meine täglichen Aufgaben. Wenn´s gefinkelter wird, bin ich aufgeschmissen.

Deshalb kann ich Franz auch nachfühlen. Ich weiß genau was passiert ist.

Auf der Suche nach den Topos klickt man sich durch allerhand Menüs, ignoriert alle möglichen Aufforderungen von denen man nicht weiß was sie bedeuten und akzeptiert alles was so daherkommt nur um an diese verdammte Routenskizze zu kommen.

En Freund wollte sich letztens ein Video der Zehnerroute „Vagina Diaboli" in der Arena ansehen. Zum Video ist er nie gekommen aber seitdem hat er eine asiatische Schönheit am Hals, die ihn täglich mit irgendwelchen Offerten bombardiert.

Da kann er echt nur von Glück reden, dass er sich nicht die benachbarte „Phallus Dei" ansehen wollte.

Wie dem auch sei. Die Chance, dass Franz und ich das gewünschte Topo aus dem weltweiten Netz holen ist beträchtlich geringer als dass wir am nächsten Tag doch noch unserem Langzeitprojekt eine Begehung abringen könnten.

Ich weiß genau was passieren wird sobald ich mich mit der Tastatur ans Werk mache. Entweder ich bin nach fünf Mausklicks kurz davor, mir eine Jahresration Viagra in den Warenkorb zu pfeffern oder ich bin irgendwo in den Untiefen irgendwelcher Systemsteuerungen unterwegs, in die selbst der gefinkeltste Hacker nur mit Mühe reinkommt. Wisst ihr eigentlich, dass im Darknet auch Topos zu finden sind?

Der langen Rede kurzer Sinn. Auch ich schaffe es nicht das Topo downzuladen und bemühe, wie so oft, meinen Lieblingsbefehl:

Strg-Alt-Entf

um aus dieser Nummer unbehelligt rauszukommen.

Nun liegt es an mir, zum Handy zu greifen und zerknirscht Franz anzurufen.

„Kennst du eigentlich den neuen Kanzi Führer von der Anika Ferlitsch?" frage ich ihn, ohne meinen Misserfolg auch nur mit einem Wörtchen zu erwähnen.

"Sie hat ihn mir gestern erst geschickt. Der ist absolut Klasse gemacht. Gratulation der jungen Dame. Und außerdem gibt's eine Menge neuer Routen die wir noch nicht kennen."

Franz ist begeistert.

„Da fahren wir morgen hin! Wann bist du bei mir?

Und noch eins – vergiss den Führer nicht!"


Passend zum Thema, unsere Rubrik der Kletterführer:
https://climbing.plus/books

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Kommentare 1

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Rob Harbert

am Samstag, 12. Dezember 2020 11:10

Noch verstrickter ist es, so wie bei mir, ich habe alles am Handy und wenn dann der Akku zu Neige geht, werd ich zum Mörder.?????

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Noch verstrickter ist es, so wie bei mir, ich habe alles am Handy und wenn dann der Akku zu Neige geht, werd ich zum Mörder.?????