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3 Minuten Lesezeit (557 Wörter)

"Nix Neues unter`m Tisch"

91565550_515988172626303_1895704337166893056_n Tischbouldering; photo credit: Gregor Jaeger

Pat, der Neuseeländer, legt sich bäuchlings auf die Platte des wackeligen Tischchens auf Jean Pauls´s Campingplatz in La Palud. Seit 9 Monaten ist er auf seiner Kletterreise rund um die Welt und seit mehreren Wochen ist er nun hier im Verdon. Der Tischboulder fehlt noch auf seiner Ticklist. 

Es sieht gut aus für ihn. 

Ruhige, kontrollierte Moves. 

Pat hängt wie ein Koala unter der Tischplatte und schickt sich an, seinen Haxen an der Kante der Platte einzuhängen. 

Das Tischchen wackelt, ächzt und stöhnt.

Anfeuerungsrufe der umstehenden Campingplatz Residents.

Just in dem Moment, in dem Pat seinen Körper über die Kante wuchtet, knicken die Tischbeine weg. 

Rrrrrrummmmmmsss.

Unter dem johlenden Gelächter der Zuschauer fliegt Pat samt Tisch in den Dreck. 

Wieder ist ein Versuch gescheitert.

Mein Kumpel Christian lässt es sich nicht nehmen, sofort selbst einen Versuch zu starten. Es sieht deutlich weniger elegant aus als bei Pat. Das Ergebnis bleibt das Gleiche. Mann und Tisch zerschellen am Boden.

Ich selbst beschließe in diesem Augenblick, meine Versuche auf spätabends oder frühmorgens zu terminisieren. Ohne Zuseher.

In Zeiten von Covid -19 mit Ausgangsbeschränkungen, Kletterverbot und geschlossenen Hallen versucht jeder, so gut es geht, sich Zuhause fitzuhalten. 

Läufer umrunden in ihrem Carport eine Klopapierrolle 10400 mal um auf ihre Marathondistanz zu kommen. 

Radfahrer sitzen stundenlang am Hometrainer und Kletterer erinnern sich an Trainingsmethoden vergangener Tage als es weder Boulderhallen noch eigene Homewalls gab - und da kommt eine beinahe vergessene Disziplin wieder an die Oberfläche.

Gregor - Greg Silverback - Jaeger räumt im fernen Köln seinen Wohnzimmertisch frei, streift sich sein Arco Rockmaster Wettkampfshirt von 1992 über und stellt Fotos und Videos davon ins Netz. 

Tischbouldering as its best.

Ich selbst nehme Ausgangsbeschränkung, Kletterverbot usw. sehr ernst und helfe mit, wo ich nur kann, um die Pandemie einzugrenzen. Und das, obwohl ich nur wenige Minuten von den (zur Zeit vermutlich staubtrockenen) Felsen der Bärenschützklamm im Grazer Bergland entfernt wohne. Bei herrlichstem Frühlingswetter bleibe ich zuhause, weil ich eines aus Erfahrung weiß: 

Ein paar Wochen hält man ohne zu klettern aus. 

In den Achtzigern, dem golden Age des heimischen Sportkletterns, fiel im Oktober der erste Schnee und hielt sich oft bis Ende April. Die Felsen waren vereist, verschneit oder zumindest abgesoffen ohne Ende. Wir Kletterer hielten uns, mangels Alternative, an selbstgebastelten Griffbrettern fit, gingen zum Schifahren und wenn es ganz hoch herging fuhren wir zu Weihnachten ein paar Tage nach Osp. 

Den besten Klettertag meines Lebens hatte ich nach wochenlanger Felsabstinenz. Im März 1991 gelangen mir in der heimischen Arena an einem Tag gleich eine ganze Reihe 7b´s. Alle hintereinander, alle ohne runterzufliegen. Natürlich kannte ich die Touren von vorherigen Begehungen aber sie sind soooo technisch und anspruchsvoll, dass ich mir absolut nicht mehr vorstellen kann, wie das damals nur mit Griffbretttraining funktionieren konnte. 

Allein der Gedanke, dass es möglich ist, hält mich in bei Laune und ich träume davon, dass ich in wenigen Wochen, nur mit Leistentraining, doch eine einigermaßen gute Figur am Fels abgeben könnte. Obwohl - Gregors Video ist schon ziemlich motivierend.

Meine Frau freut sich, als sie bemerkt, dass ich den Küchentisch freiräume. Quarantäne hat doch auch sein Gutes, denkt sie sich. Sogar mein Mann beteiligt sich nun am Haushalt.

Stutzig wird sie erst, als ich sie frage, wo denn mein Wettkampfshirt von Mayerhofen 1991 wäre. Du weißt schon: Das weiße Red Bull mit der Startnummer 115.

Sie schüttelt den Kopf, als ihr dämmert, was ich vorhabe. 

"Du spinnst doch völlig" 

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