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4 Minuten Lesezeit (715 Wörter)

Vorbei ist vorbei

thumbnail_HRH-1786 Horst Jobstraibitzer, photo credit: Hannes Raudner

"Irgendwas machst du falsch" sage ich zu Babsi, als sie sich bei ihrem ersten Einstieg in den "Zeitgeist" bereits in den ersten Zügen unerwartet schwer tut.

Ich biete ihr an, ihr zu zeigen, wie`s am geschicktesten geht. Dann ist`s nämlich gar nicht schwer. 

Minuten später hänge ich am scharfen Ende des Seils und tapse ratlos an den Griffen herum. Wie ging das noch mal?? Verdammt ist das schwer. Viel schwerer als ich es in Erinnerung habe. Das war doch früher ganz einfach! 

Obwohl ich die Tour auch in meinen besten Zeiten nie durchgestiegen bin - die Einzelpassagen hatte ich echt gut drauf und der Einstieg war kein Kriterium. Es hilft alles nix. Ich kann mich nicht mehr erinnern oder bin ich einfach nur viel zu schwach für die Stelle? Irgendwie kriege ich sie zwar doch noch hin, aber von "gar nicht so schwer", kann keine Rede sein. Bei der nächsten Passage ist dann endgültig Endstation. Die Griffe kann ich einfach nimmer halten. Frustriert bitte ich Babsi, mich abzulassen.

Vorbei ist vorbei. 

Meine Träume, eines Tages vielleicht doch noch diese Superroute klettern zu können, haben sich soeben verabschiedet. Da tröstet auch die Erinnerung nicht, die Stellen doch einmal richtig gut draufgehabt zu haben.

Das ist ja das Schlimme an der Erinnerung. 

Es hilft herzlich wenig, wenn man weiß, dass man die eine oder andere Route vor vielen Jahren super drauf hatte. Dass man hochgetänzelt ist wie "Le Blonde" Patrick Edlinger. 

Jetzt möchte ich da hoch! Jetzt! Hier und heute. Und - verdammt nochmal - ich krieg´s nicht hin.

Natürlich sind Erinnerungen auch was wunderbares. Mit Freunden zusammenzusitzen und bei einem oder mehreren Glaserln Rotwein von alten Zeiten zu schwelgen hat schon was. Man hält sich dabei den Bauch vor Lachen und hat völlig vergessen, wie die Knie damals vor Angst geschlottert haben oder mit welcher Anstrengung man sich gerade noch irgendwie festgeklammert hat. Jenseits allen optischen Genusses. 

In der Erinnerung ist man da hochgekracht, hat den mörderischen Hakenabstand kühn ignoriert und voll entspannt die Kette geklinkt. 

Letztlich aber sind es Erinnerungen. Das Geschehene ist lange her - und vorbei.

Diese Gedanken überkommen mich gerade jetzt bei der Covid 19 Krise. Es gibt Ausgangsbeschränkungen und die dringliche Empfehlung nicht klettern zu gehen. 

Wie blöd geht´s her und man tut sich weh. Man benötigt die Hilfe der Bergrettung und noch schlimmer - man muss im Krankenhaus operiert werden und belegt ein Bett auf der Station, das andere dringender benötigt hätten. Für mich sind das ganz klare Beweggründe daheim zu bleiben. Zum Glück habe ich Haus und Garten und ich kann die unerwartete Entschleunigung meines Lebens erstmal so richtig genießen.

Nach ein paar Tagen Extremcouching ist`s dann aber doch an der Zeit, meinem Dasein wieder etwas sportlichen Touch zu verpassen. Also ab in den Keller und nach ein paar Stunden entrümpeln, staubwischen, wienern und putzen erstrahlt mein Trainingsraum im neuen Glanz. 

Mann! Wie lange ist es jetzt her, dass ich hier trainiert habe? Mein Blick fällt auf die Poster an der Wand. Fotografiert von meinem Freund Hannes während meines unsäglichen Zeitgeistversuchs. Zum Glück sieht man am Foto gar nicht, wie ich mich damals aufgeführt habe. Daneben ein Bild von Chris Sharma.

Voll motiviert hänge ich mich gleich an mein Kraxlboard. - Oh mein Gott!!! Das gibt es ja gar nicht. Was ist denn mit den Griffen los? Sind die geschrumpft? Sooo klein habe ich die ja echt nicht in Erinnerung. 

Die Aufzeichnungen meiner Trainings vergangener Zeiten verschwinden sofort ungesehen im Papiermüll und ich gestalte liebevoll ein neues Trainingsbüchlein. Mit Aufklebern von E9 und CLIMBING.PLUS. 

Es kann losgehen.

Zwei Stunden später trage ich meine Trainingsergebnisse fein säuberlich ein. Zumindest ein Anfang ist getan. So soll - nein - so muss es weitergehen.

Ich weiß, dass ich, um in meinen Träumen eine Chance zu haben, trainieren muss. Mit knapp vor sechzig reicht klettern allein nicht mehr aus. Außerdem kann man ja auch nicht so oft an den Fels wie man es gerne hätte. Ein feiner Trainingskeller hat da schon was.

Es wird besser. Training für Training. Ich ändere meine Taktik. Trage nicht mehr im Büchlein ein was ich zusammenbringe sondern ich schreibe mir vor, was ich zusammenbringen möchte um es, so gut es geht, abzuhaken. 

Symbolisch für meinen Blick in die Zukunft, in der ich doch noch so einiges vorhabe.

Was ich gestern noch zusammengebracht habe, interessiert ja echt keinen Hund. Nur das, was heute geht.

Vorbei ist vorbei...

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Kommentare 1

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Irmgard Braun

am Sonntag, 19. April 2020 14:19

Super! Vorbei ist vorbei. Und jetzt geht´s los! Ob und wie man sich durch Training daheim verbessern kann, ist wirklich spannend!

  • 1
Super! Vorbei ist vorbei. Und jetzt geht´s los! Ob und wie man sich durch Training daheim verbessern kann, ist wirklich spannend! :D